Betriebliches Gefahrstoffmanagement
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Betriebliches Gefahrstoffmanagement
Der Umgang mit gefährlichen chemischen Stoffen ist in nahezu allen Branchen von hoher Relevanz. In Großbetrieben werden verschiedene Gefahrstoffe verwendet – von Reinigungschemikalien über Lösungsmittel und Prozesschemikalien bis hin zu Zwischen- und Endprodukten. Ein systematisches Gefahrstoffmanagement soll sicherstellen, dass Beschäftigte, Umwelt und Anlagen vor den vielfältigen Risiken dieser Stoffe geschützt werden. Dies umfasst den gesamten Lebenszyklus eines Gefahrstoffs im Betrieb, von der Beschaffung oder Entstehung über die Lagerung und Verwendung bis zur Entsorgung. Ziel ist es, akute Unfälle (z. B. Brände, Explosionen, Vergiftungen) ebenso zu verhindern wie langfristige Gesundheitsschäden der Belegschaft (etwa durch krebserzeugende oder toxische Stoffe). Gleichzeitig müssen Unternehmen eine Fülle gesetzlicher und normativer Vorgaben einhalten, die auf EU-Ebene und nationaler Ebene ständig weiterentwickelt werden. Verstöße gegen diese Regelungen können nicht nur zu schweren Unfällen, sondern auch zu Haftungsrisiken und Reputationsschäden führen. Rechtlich besteht ein engmaschiges Netz aus EU-Verordnungen (REACH, CLP), nationalen Gesetzen (ArbSchG, ChemG) und Verordnungen (GefStoffV, BetrSichV), flankiert von technischen Regeln (TRGS) und Unfallverhütungsvorschriften. Großbetriebe müssen dieses Regelwerk nicht nur kennen, sondern aktiv in betriebliche Prozesse übersetzen, um Compliance sicherzustellen. Ständige Neuerungen – etwa jüngst im Bereich KMR-Stoffe oder CLP-Gefahrenklassen – erfordern ein wachsames Monitoring und flexible Anpassungen der internen Regeln. Technisch stehen vielfältige Mittel zur Verfügung, um Gefahrstoffe sicher zu beherrschen: von moderner Lagertechnik über geschlossene Fördersysteme bis zur Messtechnik zur Expositionsüberwachung. Die Hierarchie der Schutzmaßnahmen (Substitution – Technik – Organisation – PSA) bietet eine klare Leitlinie, wo Prioritäten zu setzen sind. Dennoch bleiben technische Lösungen nur so gut wie ihre Umsetzung und Wartung. Hier kommt die Organisation ins Spiel: Klare Verantwortlichkeiten, fundiertes Fachwissen (Sicherheitsfachkräfte, Gefahrstoffexperten) und definierte Abläufe (z. B. Freigabeprozesse bei neuen Stoffen, regelmäßige Gefährdungsbeurteilungen, Notfallübungen) bilden das Gerüst, an dem sich alle Beteiligten orientieren können.
Betriebliches Gefahrstoffmanagement erfordert kontinuierliche Anstrengungen und das Zusammenspiel vieler Akteure. Wenn es jedoch mit Engagement, Fachkunde und Systematik betrieben wird, können die damit einhergehenden Gefahren kontrolliert und minimiert werden – zum Wohle der Beschäftigten, der Öffentlichkeit und letztlich auch des Unternehmens selbst, das von einem sicheren und rechtskonformen Betrieb profitiert.
- Regulatorischer
- Organisationsstrukturen
- Gefährdungsbeurteilung
- Gefahrstoffmanagements
- Digitalisierung
- Entwicklungen
- Anhang
Regulatorischer Rahmen für Gefahrstoffe
Ein wirksames Gefahrstoffmanagement fußt auf einem klaren Verständnis des rechtlichen Rahmens. In Deutschland wird dieser durch eine Kombination europäischer Verordnungen, nationale Gesetze und Verordnungen sowie untergesetzlicher Regeln bestimmt. Die wichtigsten Regelungsbereiche betreffen das Inverkehrbringen von Chemikalien (Stoffregistrierung, Einstufung und Kennzeichnung), den Schutz der Beschäftigten am Arbeitsplatz und den Schutz der Umwelt. Im Folgenden werden die zentralen Rechtsakte vorgestellt.
Europäische Chemikalien-Verordnungen: REACH und CLP
REACH steht für Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals und trat 2007 in Kraft. Sie revolutionierte das Chemikalienrecht, indem sie die Beweislast umkehrte: Hersteller und Importeure müssen seitdem alle chemischen Stoffe (über 1 Tonne pro Jahr) registrieren und Informationen über ihre Eigenschaften und Risiken bereitstellen. REACH verfolgt das Ziel, Mensch und Umwelt vor stoffbedingten Schädigungen zu schützen und gefährliche Chemikalien schrittweise zu ersetzen. Eine europäische Chemikalienagentur (ECHA) überwacht die Umsetzung und veröffentlicht regelmäßig Listen besonders besorgniserregender Stoffe (SVHC – Substances of Very High Concern), die strengen Auflagen oder einem Zulassungsverfahren unterliegen. So wird halbjährlich die SVHC-Kandidatenliste aktualisiert, welche Stoffe mit besonderen Gefahren (z. B. krebserzeugend, erbgutverändernd, fortpflanzungsgefährdend oder persistent) aufführt. Für Stoffe auf dieser Liste gelten zusätzliche Beschränkungen oder Zulassungspflichten, was faktisch auf ein Verwendungsverbot ohne behördliche Erlaubnis hinauslaufen kann. REACH verpflichtet nicht nur die Hersteller, sondern auch nachgeschaltete Anwender (d. h. industrielle Verarbeiter oder gewerbliche Nutzer) zur Einhaltung der Vorschriften. Insbesondere müssen nachgeschaltete Anwender die in Sicherheitsdatenblättern beschriebenen Risikomanagement-Maßnahmen umsetzen und dürfen gewisse besonders gefährliche Stoffe nicht ohne Autorisierung verwenden. REACH verlangt außerdem von den Lieferanten, den Betrieben Sicherheitsdatenblätter (SDS) und weitere Gefahrstoffinformationen bereitzustellen (siehe Kapitel 4), was eine wesentliche Grundlage für das betriebliche Gefahrstoffmanagement darstellt.
CLP steht für Classification, Labelling and Packaging und bildet die europäische Umsetzung des UN-weit harmonisierten Systems zur Einstufung und Kennzeichnung (GHS). Die CLP-Verordnung ist seit Januar 2009 in Kraft und seit dem 1. Juni 2015 alleinig gültig für die Gefahrenkennzeichnung in Europa. Sie schreibt vor, dass chemische Stoffe und Gemische vor dem Inverkehrbringen nach einheitlichen Kriterien eingestuft (z. B. als entzündbar, giftig, ätzend etc.) und entsprechend mit Gefahrensymbolen, Signalwörtern, Gefahrenhinweisen (H-Sätzen) und Sicherheitshinweisen (P-Sätzen) gekennzeichnet werden. Die Einführung von CLP bedeutete eine Ablösung der früheren orangefarbigen Gefahrensymbole durch die neuen rot-gerahmten GHS-Piktogramme. Unternehmen mussten ihre Gefahrstoffverzeichnisse, Betriebsanweisungen und Gefährdungsbeurteilungen an die neuen Kennzeichnungen anpassen. Die einheitliche Kennzeichnung nach CLP dient nicht nur dem Binnenmarkt, sondern vor allem dem Schutz der Beschäftigten und Verbraucher, da Gefahren nun EU-weit konsistent erkennbar sind. Beispielsweise signalisiert ein Piktogramm mit Flammen symbolisch eine Entzündungsgefahr, begleitet vom Signalwort Achtung oder Gefahr je nach Schwere. Die CLP-Verordnung verpflichtet zudem Hersteller und Importeure, neue Stoffe bei der ECHA zu melden und existierende Einstufungen kontinuierlich zu überprüfen.
Aktuell ist das Chemikalienrecht im Wandel: Im Rahmen der EU-Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit wurden neue Gefahrenklassen in die CLP eingeführt (Delegierte Verordnung (EU) 2023/707). Dazu gehören u. a. Einstufungen für endokrine Disruptoren (stoffliche Einwirkungen auf das Hormonsystem) sowie für besonders persistente und mobile Stoffe. Diese neuen Gefahrenkategorien – Endokrine Disruptoren für Mensch und Umwelt, PBT/vPvB (persistent, bioakkumulierbar, toxisch bzw. sehr persistent und sehr bioakkumulierbar) und PMT/vPvM (persistent, mobil, toxisch bzw. sehr persistent, sehr mobil) – müssen ab 2025/2026 bei der Einstufung berücksichtigt werden. Für Unternehmen bedeutet dies, dass sie ihre Stoffklassifizierungen und Kennzeichnungen erneut überprüfen und ggf. anpassen müssen, um Compliance mit den aktualisierten CLP-Vorgaben sicherzustellen. Insgesamt bilden REACH und CLP den äußeren Rahmen, innerhalb dessen betriebliche Gefahrstoffverantwortliche agieren müssen – sie definieren, welche Stoffe verwendet werden dürfen, welche Informationen vorliegen müssen und wie die Gefährlichkeit nach außen kenntlich zu machen ist.
Nationale Rechtsgrundlagen: ArbSchG, GefStoffV und BetrSichV
Deutschland verfügt über ein umfassendes nationales Arbeitsschutzrecht, das die europäischen Richtlinien umsetzt und teils darüber hinausgeht. Zentral ist das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) als allgemeines Rahmengesetz für Sicherheit und Gesundheitsschutz der Beschäftigten. Es verpflichtet den Arbeitgeber, Arbeitsbedingungen zu beurteilen und Gefährdungsbeurteilungen für alle Tätigkeiten durchzuführen (§ 5 ArbSchG). Auf Basis dieser Beurteilungen sind geeignete Maßnahmen zum Arbeitsschutz festzulegen (§ 3 ArbSchG) und die Wirksamkeit der Maßnahmen ist zu überwachen. Das ArbSchG schreibt außerdem vor, dass Beschäftigte über Gefahren und Schutzmaßnahmen unterwiesen werden müssen (§ 12 ArbSchG). Diese Pflichten gelten selbstverständlich auch und gerade für den Bereich Gefahrstoffe. Das Arbeitsschutzgesetz bildet damit das Fundament: Es stellt klar, dass der Arbeitgeber verantwortlich ist, Gefahren durch Gefahrstoffe zu ermitteln und auszuräumen. Konkretere Anforderungen werden in spezialgesetzlichen Verordnungen geregelt.
Die wichtigste Verordnung für den Umgang mit gefährlichen Substanzen am Arbeitsplatz ist die Gefahrstoffverordnung (GefStoffV). Sie setzt die EU-Richtlinie 98/24/EG (Chemikalienrichtlinie zum Schutz der Beschäftigten) und Teile der Richtlinie 2004/37/EG (Schutz vor Karzinogenen/Mutagenen) in deutsches Recht um. Ziel der GefStoffV ist es, Menschen und Umwelt vor stoffbedingten Schädigungen zu schützen. Die Verordnung richtet sich in erster Linie an den Arbeitgeber, der alle notwendigen Maßnahmen ergreifen muss, um die Sicherheit beim Umgang mit Gefahrstoffen zu gewährleisten.
Inhaltlich gliedert sich die GefStoffV in drei Bereiche:
Vorschriften zur Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen (wobei auf EU-Ebene CLP gilt, das in der Verordnung gespiegelt wird).
Vorschriften zu Schutzmaßnahmen und Verhaltensregeln bei Tätigkeiten mit Gefahrstoffen, um Gesundheitsgefahren für Beschäftigte zu vermeiden.
Beschränkungen und Verbote für bestimmte besonders gefährliche Stoffe (z. B. Verbote für Asbest, bestimmte karzinogene Stoffe oder andere durch REACH beschränkte Chemikalien).
Konkret auferlegt die GefStoffV jedem Arbeitgeber eine Reihe von Pflichten im Rahmen des Gefahrstoffmanagements. Hierzu zählen insbesondere: (1) die Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung vor Aufnahme einer Tätigkeit mit Gefahrstoffen, (2) die Ableitung geeigneter Schutzmaßnahmen (Technik, Organisation, Persönliche Schutzausrüstung) und die Überprüfung ihrer Wirksamkeit, (3) die Dokumentation der Gefährdungsbeurteilung einschließlich der getroffenen Maßnahmen, und (4) die Information und Unterweisung der Beschäftigten über die mit ihren Tätigkeiten verbundenen Gefahrstoffgefahren. Diese Grundpflichten der GefStoffV zielen darauf ab, einen systematischen und vorsorgenden Umgang mit Gefahrstoffen im Betrieb zu verankern. So schreibt § 7 GefStoffV ein Substitutionsgebot vor: Der Arbeitgeber muss prüfen, ob ein gefährlicher Stoff durch einen weniger gefährlichen ersetzt werden kann (Substitution), und dies vorrangig umsetzen, sofern technisch möglich. § 8 GefStoffV nennt Allgemeine Schutzmaßnahmen, die mindestens einzuhalten sind – darunter fallen z. B. Beschränkung der Exposition, technische Lüftungseinrichtungen, Hygienemaßnahmen (Waschgelegenheiten, Pausenräume fern von Gefahrstoffexposition) und organisatorische Regelungen (Kennzeichnung, Zugangsbegrenzung etc.). Erst wenn diese Basismaßnahmen ausgeschöpft sind, kommen weitergehende Maßnahmen hinzu.
Ein zentrales Element der GefStoffV ist außerdem die Pflicht zur Erstellung eines Gefahrstoffverzeichnisses (Gefahrstoffkataster). Gemäß § 6 Abs. 12 GefStoffV hat der Arbeitgeber ein Verzeichnis aller im Betrieb verwendeten Gefahrstoffe zu führen, in dem auf die zugehörigen Sicherheitsdatenblätter verwiesen wird.
Dieses Verzeichnis muss mindestens die folgenden Angaben enthalten:
die Bezeichnung des Gefahrstoffs (z. B. Handelsname oder chemische Bezeichnung),
die Einstufung des Gefahrstoffs bzw. Angabe seiner gefährlichen Eigenschaften (z. B. Flam. Liq. 2, H225 – hochentzündlich),
die Angabe des im Betrieb verwendeten Mengenbereichs (z. B. 100–500 Liter oder „Kleinmenge unter 5 kg“),
die Arbeitsbereiche, in denen Beschäftigte dem Gefahrstoff ausgesetzt sein können (z. B. Abteilung Lackiererei, Labor X).
Dieses Verzeichnis – oft Gefahrstoffkataster genannt – soll den Überblick über alle Gefahrstoffe im Unternehmen sicherstellen und muss den beschäftigten Personen und ihrem Betriebsrat zugänglich sein. Nur bei Vorliegen ausschließlich geringer Gefährdungen (Definition in § 6 Abs. 13 GefStoffV) darf ausnahmsweise auf ein solches Verzeichnis verzichtet werden.
Ein weiterer wichtiger Aspekt der GefStoffV ist die Forderung nach fachkundiger Durchführung der Gefährdungsbeurteilung. § 6 verlangt, dass der Arbeitgeber über die erforderliche Fachkunde verfügen oder sich fachkundig beraten lassen muss; als fachkundige Personen werden insbesondere die Fachkraft für Arbeitssicherheit und der Betriebsarzt genannt. Diese interdisziplinäre Einbindung von Sicherheitsingenieuren und Arbeitsmedizinern unterstreicht den hohen Anspruch an die Qualität der Gefährdungsbeurteilung (siehe Kapitel 3). Die GefStoffV wird laufend angepasst, um neue wissenschaftliche Erkenntnisse und EU-Vorgaben zu integrieren. So ist im Dezember 2024 eine Überarbeitung in Kraft getreten, die u. a. erstmals fordert, dass auch psychische Belastungen durch Gefahrstoffe (z. B. Angst vor Erkrankungen, Stress bei Umgang mit hochtoxischen Stoffen) im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung berücksichtigt werden. Neu ist auch die Erweiterung des Anwendungsbereichs: Eine Mitwirkungspflicht für Privathaushalte als Auftraggeber wurde eingeführt, damit z. B. bei Sanierungsarbeiten im häuslichen Bereich Gefährdungen durch Gefahrstoffe (etwa Asbest in alten Baumaterialien) korrekt beurteilt und informiert werden (§ 5a GefStoffV). Zudem wurden 2024 strengere Regeln für krebserzeugende, erbgutverändernde und fortpflanzungsgefährdende Stoffe (KMR-Stoffe der Kategorien 1A/1B) erlassen. Beispielsweise gelten die besonderen Schutzmaßnahmen nun ausdrücklich auch für reproduktionstoxische Stoffe (§ 10 GefStoffV), und solche Stoffe müssen in ein Expositionsverzeichnis für betroffene Beschäftigte eingetragen werden, das 5 Jahre aufzubewahren ist (§ 10a). Dies zeigt, dass das Gefahrstoffrecht ein dynamisches Feld ist, auf das sich Großbetriebe kontinuierlich einstellen müssen (siehe Kapitel 9).
Neben der GefStoffV ist die Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV) bedeutsam, insbesondere wenn Gefahrstoffe in Zusammenhang mit Arbeitsmitteln oder überwachungsbedürftigen Anlagen eingesetzt werden. Die BetrSichV regelt die sichere Bereitstellung und Benutzung von Arbeitsmitteln und enthält Vorschriften zum Schutz vor explosionsfähigen Atmosphären (Umsetzung der ATEX-Arbeitsplatzrichtlinie 1999/92/EG). Bei Tätigkeiten mit brennbaren Flüssigkeiten oder Gasen überschneiden sich GefStoffV und BetrSichV: Während die GefStoffV vor allem den Gesundheitsschutz (Toxizität, Verätzung etc.) adressiert, fokussiert die BetrSichV auf die Anlagensicherheit und Explosionsschutz. So verlangt § 6 BetrSichV, dass vor dem Betrieb von Anlagen, in denen explosionsfähige Gemische auftreten können, ein Explosionsschutzdokument erstellt wird. Darin sind die Explosionsrisiken zu ermitteln und entsprechende technische und organisatorische Schutzmaßnahmen festzulegen (z. B. Zoneneinteilung, Ex-Geräte, Zündquellenvermeidung). In einem Großbetrieb mit z. B. Lösemitteltanks, Gasinstallationen oder staubführenden Silos muss also sowohl die Gefährdungsbeurteilung nach GefStoffV als auch der Explosionsschutz nach BetrSichV beachtet werden. Die BetrSichV enthält darüber hinaus Vorgaben für Druckbehälter, Sicherheitsventile, Lagerbehälter etc., die oft beim Lagern oder Verarbeiten von Gefahrstoffen relevant sind (etwa Druckgasflaschen, Chemikalienreaktoren). Es ist Aufgabe des Gefahrstoffmanagements, diese Schnittstellen zwischen Chemikalienrecht und Anlagensicherheit zu berücksichtigen, damit alle rechtlichen Pflichten erfüllt werden.
Ergänzend sei erwähnt, dass auch weitere Rechtsbereiche hineinspielen, etwa das Umweltrecht. Das deutsche Wasserhaushaltsgesetz (WHG) und die Verordnung über Anlagen zum Umgang mit wassergefährdenden Stoffen (AwSV) verlangen bspw., dass Gewässer durch technische Vorkehrungen vor Chemikalien geschützt werden. Ein Betrieb, der wassergefährdende Gefahrstoffe lagert (z. B. Öle, Säuren, Lacke), muss Auffangwannen oder dichte Böden vorhalten, um Leckagen aufzufangen. Auch Mengenbeschränkungen und Meldepflichten greifen: Ab bestimmten Lagermengen äußerst gefährlicher Stoffe kann die Störfall-Verordnung (12. BImSchV, Umsetzung der Seveso-III-Richtlinie) Anwendung finden, die umfassende Sicherheitskonzepte und Notfallpläne fordert. Somit ergibt sich ein komplexes Geflecht an Vorschriften, das Großbetriebe im Gefahrstoffmanagement beachten müssen. Abb. 1 (im Anhang) skizziert die wichtigsten gesetzlichen Grundlagen im Überblick.
(Abb. 1: Übersicht wichtiger Rechtsgrundlagen – REACH, CLP, ArbSchG, GefStoffV, BetrSichV, AwSV, etc.) ¹
Technische Regeln (TRGS) und berufsgenossenschaftliche Regelwerke
Zur Konkretisierung der gesetzlichen Vorgaben existiert ein umfassendes untergesetzliches Regelwerk, das Unternehmen als anerkannte Richtschnur dienen kann. Dazu zählen insbesondere die Technischen Regeln für Gefahrstoffe (TRGS), die vom Ausschuss für Gefahrstoffe (AGS) beim BMAS erarbeitet und im Bundesarbeitsblatt bekannt gemacht werden. TRGS geben den jeweils aktuellen Stand der Technik, Arbeitsmedizin und Arbeitshygiene wieder und erläutern, wie die Anforderungen der GefStoffV praktisch umzusetzen sind. Rechtlich gilt: Wenn ein Arbeitgeber die einschlägigen TRGS einhält, kann er davon ausgehen, die Pflichten der GefStoffV zu erfüllen. TRGS sind also de-facto antizipierte Sachverständigengutachten und äußerst praxisrelevant.
Das TRGS-Regelwerk ist thematisch gegliedert:
TRGS 100–199 definieren Begriffe und Grundlagen,
TRGS 400–499 behandeln die Gefährdungsbeurteilung,
TRGS 500–589 enthalten Schutzmaßnahmen für verschiedene Szenarien,
TRGS 600–699 adressieren Substitution gefährlicher Stoffe,
TRGS 700–799 betreffen Brand- und Explosionsschutz,
TRGS 900–999 stellen Grenzwerte (Arbeitsplatzgrenzwerte, Biologische Grenzwerte) und wissenschaftliche Begründungen bereit.
Wichtige Beispiele sind:
TRGS 400: "Gefährdungsbeurteilung für Tätigkeiten mit Gefahrstoffen" – sie beschreibt systematisch, wie die Gefährdungsbeurteilung nach § 6 GefStoffV durchzuführen ist, inkl. Handlungsschritte und Mindestinhalte. TRGS 400 enthält z. B. konkrete Hinweise zur Erstellung des Gefahrstoffverzeichnisses und verweist darauf, welche Angaben dieses umfassen muss.
TRGS 500: "Schutzmaßnahmen" – sie legt allgemeine Maßnahmen beim Umgang mit Gefahrstoffen fest, insbesondere die Rangfolge der Schutzmaßnahmen (Substitution vor technisch vor organisatorisch vor Persönlich, bekannt als STOP-Prinzip). Hier werden Standardmaßnahmen wie Lüftung, Minimierung der Exposition, geeignete Lagerung usw. erläutert.
TRGS 510: "Lagerung von Gefahrstoffen in ortsbeweglichen Behältern" – eine äußerst relevante Regel für Großbetriebe, da sie detaillierte Anforderungen an Lagermengen, Lagerklassen, Zusammenlagerungsverbote und technische Schutzmaßnahmen in Lagerräumen oder -schränken enthält. TRGS 510 unterscheidet z. B. Kleinmengen, die auch außerhalb spezieller Schränke gelagert werden dürfen, und größere Mengen, für die besondere Brandschutzmaßnahmen und Trennabstände nötig sind.
TRGS 555: "Betriebsanweisung und Information der Beschäftigten" – diese TRGS beschreibt, wie schriftliche Betriebsanweisungen für Gefahrstoffe zu erstellen sind und welche Inhalte sie haben müssen (Gefahren für Mensch und Umwelt, Schutzmaßnahmen, Verhalten im Notfall, Erste Hilfe). Sie konkretisiert damit die Unterweisungspflicht der GefStoffV und DGUV-Vorschriften.
TRGS 900: "Arbeitsplatzgrenzwerte" – sie listet die verbindlichen Grenzwerte für chemische Arbeitsstoffe (AGW) auf. Diese Konzentrationen (in Luft am Arbeitsplatz) dürfen im Mittel nicht überschritten werden. Für sehr viele industrielle Chemikalien sind AGW festgelegt (z. B. 500 ppm für Aceton); bei Überschreitung muss der Arbeitgeber technisch/organisatorisch gegensteuern oder die Tätigkeit unterbinden.
Daneben existieren Regelwerke der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV), welche aus den früheren Berufsgenossenschaftlichen Vorschriften und Informationen hervorgegangen sind. Die DGUV erlässt Unfallverhütungsvorschriften mit quasi-gesetzlichem Charakter für ihre Mitgliedsbetriebe. Zentral ist die DGUV Vorschrift 1 "Grundsätze der Prävention", die für alle Betriebe gilt. Sie verlangt u. a., dass der Unternehmer für eine jährliche Unterweisung aller Versicherten zu Sicherheitsthemen sorgt und diese Unterweisungen schriftlich dokumentiert. Zwar bezieht sich DGUV V1 nicht nur auf Gefahrstoffe, aber explizit müssen auch beim Umgang mit Gefahrstoffen mindestens einmal jährlich Schulungen erfolgen, was die Vorgaben der GefStoffV (§ 14 GefStoffV fordert Unterweisung vor Aufnahme der Tätigkeit und mindestens jährlich) ergänzt. Neben DGUV V1 gibt es zahlreiche DGUV Regeln und Informationen für spezifische Branchen und Gefahrenschwerpunkte.
Einige Beispiele:
DGUV Regel 112-192 (ehemals BGR 192): Regel Benutzung von Atemschutzgeräten – relevant, wenn bei Gefahrstoffexposition Atemschutz getragen werden muss.
DGUV Information 213-032: Gefahrstoffe im Gesundheitsdienst – branchenspezifische Handlungsanleitung für Krankenhäuser/Pflege, wie Gefahrstoffe (z. B. Desinfektionsmittel, Zytostatika) gemanagt werden sollen.
DGUV Information 213-033: Gefahrstoffe in Werkstätten – mit praxisnahen Tipps u. a. zur Lagerung und zum Gefahrstoffverzeichnis in kleinen Werkstätten.
DGUV Regel 113-001: Explosionsschutz-Regeln (bisher BGR 104) – Hilfestellung zur Vermeidung von Explosionen u. a. bei lösemittelhaltigen Gefahrstoffen.
Branchenspezifische Regeln: z. B. DGUV Regel 101-004 Umgang mit Gefahrstoffen in Laboratorien (entspricht dem international bekannten "Laboratory Safety Standard").
Auch die Berufsgenossenschaften veröffentlichen Medien und Merkblätter (z. B. BG RCI: GisChem-Datenbank, BGHM: Merkblatt zur Lagerung von Chemikalien, etc.), die den Betrieben praktische Auslegungshilfen bieten. Diese Publikationen sind zwar rechtlich nicht verbindlich, aber oft auf die Bedürfnisse einzelner Branchen zugeschnitten und daher für die betriebliche Umsetzung sehr wertvoll.
Insgesamt ergibt sich ein gestuftes System von Vorschriften: EU-Verordnungen definieren das Inverkehrbringen und die Kennzeichnung von Gefahrstoffen, staatliche Gesetze und Verordnungen legen Pflichten für den Arbeitsschutz fest, und technische Regeln sowie Unfallverhütungsvorschriften konkretisieren das "Wie" im Detail. Großbetriebe sind gut beraten, dieses Regelwerk im Gefahrstoffmanagement systematisch einzubauen, etwa durch Compliance-Register oder regelmäßige Rechtskataster-Updates, um stets den aktuellen Anforderungen zu genügen.
Organisationsstrukturen und Prozesse im Gefahrstoffmanagement
Die beste Gesetzeslage nützt wenig, wenn sie im Betriebsalltag nicht adäquat umgesetzt wird. Daher kommt der Organisation des Gefahrstoffmanagements im Unternehmen eine Schlüsselrolle zu. Großbetriebe benötigen klare Verantwortlichkeiten, kompetentes Personal und abgestimmte Prozesse, um die vielfältigen Aufgaben – von der Gefährdungsbeurteilung bis zur Entsorgung – effektiv zu bewältigen. Dieses Kapitel beleuchtet zunächst die typischen Rollen und Zuständigkeiten und beschreibt anschließend exemplarisch den Prozessablauf beim Umgang mit Gefahrstoffen in der Praxis.
Verantwortlichkeiten und Fachkompetenz
Laut Arbeitsschutzgesetz und GefStoffV trägt der Arbeitgeber bzw. das Unternehmen die oberste Verantwortung für den sicheren Umgang mit Gefahrstoffen. In Großbetrieben delegiert die Unternehmensleitung diese Verantwortung operativ meist an spezifische Personen oder Einheiten. Üblich ist die Einrichtung einer Fachstelle für Gefahrstoffmanagement innerhalb der Arbeitssicherheits- oder Umweltschutzabteilung. Häufig wird ein erfahrener Sicherheitsingenieur oder Chemiker als Gefahrstoffmanager oder Gefahrstoff-Verantwortlicher benannt. Rechtlich vorgeschrieben ist die Position eines eigenständigen „Gefahrstoffbeauftragten“ zwar nicht – anders als z. B. beim Immissionsschutz- oder Störfallbeauftragten gibt es keine direkte gesetzliche Pflicht zur Bestellung. Dennoch ist es empfehlenswert, eine oder mehrere kompetente Personen förmlich mit diesen Aufgaben zu betrauen. Diese übernehmen die Koordination aller Maßnahmen, behalten Rechtsänderungen im Blick und steuern die Umsetzung der Gefahrstoff-Compliance im Betrieb.
Darüber hinaus greifen im Gefahrstoffmanagement die allgemein vorgeschriebenen betrieblichen Akteure des Arbeitsschutzes ineinander:
Die Fachkraft für Arbeitssicherheit (SiFa) berät nach dem Arbeitssicherheitsgesetz (ASiG) den Arbeitgeber in allen Fragen der Arbeitssicherheit, inklusive Gefahrstoffschutz. Sie bringt technisches Know-how ein, beurteilt z. B. die Wirksamkeit von Lüftungen, beurteilt Sicherheitsdatenblätter und unterstützt bei Schulungen.
Der Betriebsarzt (Arbeitsmediziner) ist für die arbeitsmedizinische Beratung zuständig. Bei Gefahrstoffen beurteilt er gesundheitliche Risiken, empfiehlt geeignete Vorsorgeuntersuchungen (z. B. nach ArbMedVV) und beurteilt z. B. Arbeitsplätze im Hinblick auf Hautgefährdungen oder Toxizität. Beide – SiFa und Betriebsarzt – müssen laut GefStoffV hinzugezogen werden, wenn dem Arbeitgeber selbst die Fachkunde fehlt.
Sicherheitsbeauftragte: In großen Belegschaften werden gemäß SGB VII § 22 ehrenamtliche Sicherheitsbeauftragte aus den Reihen der Mitarbeiter bestellt. Sie unterstützen vor Ort, achten auf die Einhaltung von Schutzmaßnahmen und fungieren als Bindeglied zwischen Belegschaft und Fachabteilung. Im Bereich Gefahrstoffe können sie z. B. melden, wenn Kennzeichnungen fehlen oder persönliche Schutzausrüstung nicht getragen wird.
Betriebsrat und Arbeitsschutzausschuss: Der Betriebsrat hat Mitwirkungsrechte in Arbeitsschutzfragen (§ 87 BetrVG). In Betrieben >20 MA ist ein Arbeitsschutzausschuss einzurichten (§ 11 ASiG), in dem Gefahrstoffthemen regelmäßig besprochen werden. Dies fördert die Kommunikation und Akzeptanz von Sicherheitsmaßnahmen.
Externe Berater und Dienstleister: Bei speziellen Fragestellungen (z. B. Explosionsschutz, Messtechnik, Entsorgung) ziehen Großbetriebe häufig externe Expertise hinzu – etwa Gefahrstoffsachverständige, Laboratorien zur Luftmessung oder Entsorgungsfachbetriebe für Sondermüll.
Organisatorisch ist es wichtig, dass Verantwortlichkeiten klar schriftlich fixiert werden (z. B. in Stellenbeschreibungen, Organigrammen oder einer internen Gefahrstoffmanagement-Richtlinie).
Ein mögliches Modell ist die Dreiteilung in strategische, taktische und operative Verantwortung:
Strategisch: Geschäftsführung/Vorstand legt die Sicherheitsziele fest, stellt Ressourcen bereit und schafft die organisatorischen Rahmenbedingungen.
Taktisch: Eine zentrale EHS-(Environment-Health-Safety)-Abteilung mit dem Gefahrstoffmanager entwickelt Leitlinien, hält das Gefahrstoffkataster aktuell, schult Führungskräfte und überwacht die Einhaltung von Vorschriften (Compliance-Management).
Operativ: Bereichs- oder Abteilungsleiter sind dafür verantwortlich, die Vorgaben in ihrem Verantwortungsbereich umzusetzen (z. B. in der Produktion, im Labor). Sie organisieren die konkrete Durchführung von Gefährdungsbeurteilungen vor Ort, sorgen für Unterweisung der Mitarbeiter und melden Neuerungen oder Probleme an die Zentrale weiter.
Wichtig ist, dass die Führungskräfte auf allen Ebenen eingebunden werden und Gefahrstoffsicherheit als Führungsaufgabe begreifen. Sie sind Vorbild (Tragen von PSA, Einhaltung von Regeln) und müssen aktiv dafür sorgen, dass Mitarbeiter die Vorgaben kennen und umsetzen. Letztlich lässt sich Gefahrstoffmanagement nur erfolgreich betreiben, wenn es in die allgemeinen Managementstrukturen integriert ist – idealerweise verankert in einem formalen Arbeitsschutzmanagementsystem (siehe Kapitel 2.3).
Prozesse und Abläufe im Gefahrstoffmanagement
Ein strukturiertes Gefahrstoffmanagement folgt einem Lebenszyklus-Ansatz: Jeder Gefahrstoff durchläuft im Betrieb bestimmte Phasen, in denen jeweils definierte Schritte erforderlich sind.
Diese Phasen lassen sich wie folgt beschreiben:
Beschaffung bzw. Einführung eines neuen Gefahrstoffes: Bereits bevor ein neuer Stoff in den Betrieb gelangt, sollte ein definierter Prozess gestartet werden. Zunächst ist zu prüfen und zu beschreiben, um welchen Stoff es sich handelt und wofür er verwendet werden soll (z. B. neues Reinigungsmittel X für Produktionsanlage Y, mit Angabe der Inhaltsstoffe). Eine vorläufige Gefährdungsbeurteilung wird durchgeführt, um die grundsätzlichen Risiken abzuschätzen. Vom Lieferanten oder Hersteller muss das aktuelle Sicherheitsdatenblatt (SDS) angefordert werden, sofern es sich um einen Gefahrstoff im Sinne der GefStoffV handelt. Anhand der Informationen im SDS werden Fragen geklärt: Welche Gefahrenklassen hat der Stoff? Ist er z. B. entzündbar oder giftig? Welche Lagerbedingungen fordert der Hersteller? Des Weiteren ist zu prüfen, ob der Stoff substituierbar ist – d.h. gibt es eine weniger gefährliche Alternative, die dieselbe Funktion erfüllt (siehe TRGS 600)? Substitution genießt Vorrang: Kann der geplante Stoff nicht ersetzt werden, sollte eine Begründung dafür dokumentiert werden (etwa: „kein gleich wirksames alternatives Lösemittel verfügbar“). Ist die Entscheidung für den Stoff gefallen, sind frühzeitig organisatorische Vorkehrungen zu treffen: Lagerung – gibt es geeignete Lagermöglichkeiten oder müssen z. B. Sicherheitsschränke beschafft werden? Entsorgung – wie werden Reste oder Abfälle entsorgt (Sondermüll, Recycling)? Gefahrguttransport – falls der Stoff geliefert wird, müssen die Vorgaben der Gefahrgutverordnung Straße (GGVS) beim Transport beachtet werden (hier kommen Gefahrgutbeauftragte ins Spiel, die aber Thema für sich sind). Dieser frühe Prozessschritt entscheidet, ob und wie ein neuer Gefahrstoff überhaupt in den Betrieb aufgenommen werden darf. Viele Großunternehmen haben daher Freigabeverfahren etabliert: Ein interdisziplinäres Team (Arbeitssicherheit, Umwelt, evtl. Qualitätsmanagement) prüft jeden neuen chemischen Stoff vor der Bestellung.
Aufnahme ins Gefahrstoffkataster: Sobald klar ist, dass der Stoff verwendet wird, muss er formal ins betriebliche Gefahrstoffverzeichnis eingetragen werden. Dabei werden die in § 6 GefStoffV geforderten Angaben erfasst (siehe oben): Stoffname, Einstufung/Gefahrensymbole, möglicher Mengenbereich im Betrieb, zugehörige Arbeitsbereiche. Gleichzeitig wird das Sicherheitsdatenblatt hinterlegt oder verlinkt. Viele Unternehmen nutzen hierzu elektronische Systeme (siehe Kapitel 7), um die Aktualisierung der Daten zu erleichtern. Wichtig ist, dass alle relevanten Abteilungen informiert sind: etwa die Lagerverwaltung (damit die Lagerordnung angepasst wird), die Fachkraft für Arbeitssicherheit (zur Einplanung in Gefährdungsbeurteilungen) und die Fachvorgesetzten der Bereiche, wo der Stoff eingesetzt wird.
Detaillierte Gefährdungsbeurteilung und Festlegung von Schutzmaßnahmen: Bevor die Mitarbeiter mit dem neuen Gefahrstoff arbeiten, muss die Gefährdungsbeurteilung abgeschlossen sein. Hierbei werden nun alle Informationen ausgewertet: Gefährliche Eigenschaften laut Einstufung (Ist der Stoff z. B. ätzend? Bildet er explosionsfähige Dämpfe? etc.); Arbeitsbedingungen (Wie und wofür wird er verwendet? Offenes Verfahren oder geschlossen? Welche Mengen? Welche Temperatur? etc.); Expositionsdauer und -höhe (wie lange, wie oft, wie viele Personen sind ausgesetzt; gibt es Messergebnisse?); Substitutionsmöglichkeiten (falls noch nicht erfolgt); bestehende Schutzmaßnahmen (z. B. bereits vorhandene Absaugung im Arbeitsplatz) und deren Wirksamkeit; Rechtsvorgaben wie einschlägige Arbeitsplatzgrenzwerte (AGW) oder Biologische Grenzwerte für den Stoff; sowie Informationen aus der Betriebsanleitung oder von ähnlichen Tätigkeiten. Aus all dem leitet die beurteilende Fachkraft ab, welche konkreten Schutzmaßnahmen erforderlich sind. Dabei folgt sie dem in TRGS 500 empfohlenen STOP-Prinzip: Substitution vor Technischen Maßnahmen (z. B. Lüftung, Einhausung) vor Organisatorischen Maßnahmen (z. B. Zugangsbegrenzung, Arbeitszeitbegrenzung) vor Persönlichen Schutzmaßnahmen (PSA wie Handschuhe, Atemschutz). Im Ergebnis entsteht ein Maßnahmenkatalog, der z. B. festlegt: Stoff X darf nur im Abzug verwendet werden (technische Maßnahme); maximal 500 ml außerhalb des Lagers (Mengenbegrenzung, organisatorisch); Mitarbeiter müssen Chemikalien-Schutzhandschuhe und Schutzbrille tragen (PSA); es ist eine jährliche arbeitsmedizinische Vorsorge nach G26 (Atemschutz) anzubieten (organisatorisch). Diese Maßnahmen müssen dem Personal vor Einsatz mitgeteilt werden – oft geschieht das in Form einer Betriebsanweisung (siehe Kapitel 5) und einer Unterweisung im Team.
Handhabung und Überwachung im laufenden Betrieb: Sobald der Gefahrstoff im Einsatz ist, greift der routinemäßige Betrieb. Dazu gehört die korrekte Lagerung (Kapitel 5.3): Der Stoff ist ggf. im Gefahrstoffschrank an seinem zugewiesenen Platz aufzubewahren, mit den nötigen Kennzeichnungen (Etiketten, Warnzeichen an der Lagertür). Beim Verbrauch müssen die Beschäftigten die vorgeschriebenen Schutzmaßnahmen einhalten (z. B. PSA tragen, Lüftung einschalten, Höchstgefäße nicht überschreiten). Die Führungskräfte haben sicherzustellen, dass diese Regeln befolgt werden – etwa durch regelmäßige Sicherheitsbegehungen. Auch technische Schutzvorrichtungen sind instand zu halten: z. B. Funktionsprüfung von Abzügen, Dichtheit von Auffangwannen, Wartung von Sensoren. Ein wichtiges Element ist die Wirksamkeitskontrolle: Gemäß GefStoffV muss regelmäßig geprüft werden, ob die getroffenen Schutzmaßnahmen ausreichend sind. In der Praxis können dazu Messungen der Luftkonzentration erfolgen (vergleich mit AGW), oder es wird überwacht, ob z. B. keine Undichtigkeiten auftreten (bei Lagerbehältern). Werden Mängel festgestellt – etwa gemessene Werte zu hoch – so muss die Gefährdungsbeurteilung aktualisiert und weitere Maßnahmen ergriffen werden (z. B. Prozess einkapseln oder nur noch im Freien durchführen). Die Gefährdungsbeurteilung ist also ein lebendes Dokument, das bei Änderungen (neue Erkenntnisse, Vorfälle, geänderte Rezeptur des Produkts, etc.) angepasst werden muss.
Entsorgung und Notfallmanagement: Zum Lebenszyklus gehört schließlich, dass entstehende Abfälle oder Rückstände fachgerecht entsorgt werden. Gefahrstoffe dürfen nicht unkontrolliert in die Umwelt gelangen – dies erfordert die Einhaltung des Abfallrechts (Kreislaufwirtschaftsgesetz, Nachweisführung bei Sonderabfall). Betriebe organisieren die Entsorgung oft, indem sie spezielle gekennzeichnete Abfallbehälter für Lösungsmittel, Säuren/Basen, Öle usw. bereitstellen und Entsorgungsfirmen beauftragen. Das Gefahrstoffmanagement sollte hierzu Richtlinien geben (z. B. „Behälter nur max. 80% füllen, gekennzeichnet mit Inhalt und Entsorgungsdatum versehen“). Parallel dazu muss auf Notfälle vorbereitet sein: Sollte es zu einem Gefahrstoffaustritt, Brand oder einer Verletzung kommen, sind Notfallmaßnahmen vorgesehen. Hierzu werden Notfallpläne oder Betriebsanweisungen für den Notfall erstellt (z. B. bei Säureleckage: sofort Augen-Spülung nutzen, belüften, Schutzausrüstung für Eingreifpersonal). Großbetriebe halten oft interne Werksfeuerwehren oder HAZMAT-Teams bereit, die im Ernstfall eingreifen können. Auch die behördliche Notfallplanung (Feuerwehrpläne, Ansprechpersonen) ist Teil dieser Vorsorge.
All diese Prozessschritte erfordern koordiniertes Zusammenwirken verschiedener Stellen. Daher implementieren viele Unternehmen ein zentrales Managementverfahren oder SOP (Standardarbeitsanweisung) „Umgang mit neuen Chemikalien“, das vorschreibt, welche Checks in welcher Reihenfolge zu durchlaufen sind, bevor ein Stoff freigegeben wird. Ein möglicher Workflow wurde oben skizziert. Entscheidend ist die Dokumentation aller Schritte, um im Nachhinein Rechtssicherheit zu haben und gegenüber Aufsichtsbehörden nachweisen zu können, dass z. B. die Gefährdungsbeurteilung vorlag und Unterweisungen erfolgten (Kapitel 6 diskutiert die Dokumentation genauer).
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Gefahrstoffmanagement in Großbetrieben kein singuläres Ereignis, sondern ein kontinuierlicher Prozess ist. Es beginnt lange vor dem physischen Umgang mit dem Stoff und endet nicht mit dessen Verwendung, sondern umfasst auch das geordnete Außerkraftsetzen der Gefährdung (durch Entsorgung oder Ersatz des Stoffes). Ein systematischer Prozess, der Vorsorgeprinzipien und ständige Verbesserung (PDCA-Zyklus: Plan-Do-Check-Act) beinhaltet, ist Kennzeichen eines professionellen Gefahrstoffmanagements.
Integration in Managementsysteme und Normen (ISO 45001 u.a.)
Ein interdisziplinärer Ansatz im Gefahrstoffmanagement zeigt sich auch in der Verankerung in übergreifenden Managementsystemen. Viele Großbetriebe setzen auf zertifizierte Systeme wie DIN EN ISO 45001 (Arbeitsschutzmanagement) und DIN EN ISO 14001 (Umweltmanagement), um strukturiert und nachweisbar ihren Pflichten nachzukommen. ISO 45001:2018 ist der international anerkannte Standard für Managementsysteme für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit. Er fordert von Unternehmen, systematisch alle arbeitsbedingten Gefährdungen zu identifizieren und zu bewerten, Rechtskonformität sicherzustellen und Ziele sowie Programme zur Verbesserung der Arbeitssicherheit aufzulegen. Gefahrstoffe stellen hierbei einen zentralen Gefährdungsfaktor dar. Ein Unternehmen nach ISO 45001 muss also im Rahmen des Abs. 6 der Norm Risiken durch Gefahrstoffe erfassen, die relevanten Rechtsvorschriften (wie GefStoffV, ArbSchG, REACH) ermitteln und ein Verfahren unterhalten, um diese Anforderungen fortlaufend zu erfüllen.
In der Praxis bedeutet dies: Die Prozesse, die in Abschnitt 2.2 beschrieben wurden, werden als verbindliche Prozeduren im Managementsystem verankert. Beispielsweise könnte eine Verfahrensanweisung Gefahrstoffmanagement alle Schritte von der Neubeschaffung über Lagerung bis Unterweisung regeln – diese wird dann im ISO-Audit geprüft. ISO 45001 fordert auch die Beteiligung der Beschäftigten und ihrer Vertreter in Arbeitsschutzbelangen. Dies deckt sich mit dem in Deutschland etablierten Partizipationsgedanken (Betriebsrat, ASA), wodurch Gefahrstoffmanagement partizipativ gestaltet werden soll (Mitarbeiter melden z. B. Probleme mit Chemikalien, bringen Verbesserungsvorschläge ein usw.). Ein weiterer Aspekt ist die Notfallplanung: ISO 45001 verlangt Notfallvorsorge und Reaktion, was für Chemikalienunfälle (Leckagen, Brände) einschlägige Notfallübungen und Alarmpläne bedingt.
ISO 14001 überschneidet sich mit dem Gefahrstoffmanagement, wo es um Umweltauswirkungen geht – z. B. Abfallentsorgung, Vermeidung von Emissionen, Gewässerschutz. Ein Umweltmanagementsystem wird sicherstellen, dass Stoffe mit Umweltgefährdung (WGK-Einstufung) sicher gelagert sind, und dass bei umweltrelevanten Vorfällen (z. B. Austritt ins Abwasser) sofort reagiert wird. Die DIN EN ISO 9001 (Qualitätsmanagement) kann tangieren, wenn es z. B. um die Dokumentation und Lenkung von Informationen geht, etwa dass Sicherheitsdatenblätter als Dokumente gelenkt werden. Auch ISO 50001 (Energiemanagement) hat indirekte Berührungspunkte: z. B. bei brennbaren Gasen als Energieträger müssen Sicherheit und Energieeffizienz abgewogen werden.
Erwähnenswert ist auch der Branchenansatz Responsible Care der chemischen Industrie, der freiwillig über gesetzliche Anforderungen hinaus eine kontinuierliche Verbesserung in Umweltschutz und Sicherheit (inkl. Chemikaliensicherheit) anstrebt.
Durch die Integration in Managementsysteme wird Gefahrstoffmanagement ganzheitlich und prozessorientiert betrieben. Audits (interne und externe) überprüfen regelmäßig die Umsetzung. Die Norm ISO 45001 verlangt z. B. das Bewerten der Leistung – im Gefahrstoffbereich könnte das bedeuten, Kennzahlen wie „Anzahl der Gefahrstoffunfälle“, „Prozentsatz aktualisierter Gefährdungsbeurteilungen“ oder „Schulungsquote der Mitarbeiter“ zu verfolgen. So entsteht ein Regelkreis, der hilft, Schwachstellen zu identifizieren und Verbesserungsmaßnahmen abzuleiten (z. B. wenn häufig kleinere Leckagen auftreten, ist ggf. das Lagersystem zu optimieren).
Unterm Strich steigern Normen und zertifizierte Managementsysteme die Verlässlichkeit des Gefahrstoffmanagements, da sie für klare Strukturen, systematische Herangehensweisen und kontinuierliche Überwachung sorgen. In großen Unternehmen mit komplexen Abläufen schafft dies Übersicht und unterstützt die Rechtskonformität. Allerdings bleibt zu betonen, dass ein Zertifikat allein keine Sicherheit garantiert – es kommt auf die gelebte Praxis und die Sicherheitskultur an (siehe Kapitel 6.2), in der Führungskräfte und Mitarbeiter das Gefahrstoffmanagement als selbstverständlichen Teil ihrer täglichen Arbeit ansehen.
Inhaltliche Anforderungen gemäß GefStoffV und TRGS 400
Gemäß § 6 GefStoffV hat der Arbeitgeber im Rahmen der Beurteilung der Arbeitsbedingungen zunächst festzustellen, ob Gefahrstoffe vorliegen oder entstehen können. Dies umfasst sowohl das Verwenden von Gefahrstoffen (Stoffe/Gemische, die per CLP als gefährlich eingestuft sind) als auch solche, die erst bei der Arbeit entstehen oder freigesetzt werden.
Hierbei denkt man an Phänomene wie:
Nebenprodukte von Prozessen: z. B. Lötrauch, Schweißrauch, Dieselabgase, Stäube beim Schleifen, die formal Gefahrstoffe darstellen, obwohl nicht abgefüllt.
Versteckte Gefahrstoffe: z. B. Asbestfasern in alten Gebäudeteilen, Quarzstaub in Rohstoffen, oder – wie BAuA anführt – selbst Wasser kann an einem Feuchtarbeitsplatz (Hautaufweichung, Dermatitisgefahr) als Gefahrstoff gelten.
Diese Phase erfordert bereits einiges an Fachwissen, um alle potenziellen chemischen Gefährdungen zu erkennen. Oft hilft eine Inventur (Stoffliste) und das Hinterfragen jedes Prozessschritts: „Können hier gefährliche Stoffe freiwerden?“. TRGS 400 liefert hierfür Checklisten. Sobald ein Gefahrstoff identifiziert ist, beginnt die eigentliche Beurteilung der Gefährdung.
§ 6 Abs. 6 GefStoffV schreibt acht Punkte vor, die dabei mindestens zu berücksichtigen sind:
Gefährliche Eigenschaften des Stoffes oder Gemischs, inkl. seiner physikalisch-chemischen Wirkungen (also Gesundheitsgefahren wie giftig, ätzend, krebserzeugend; und physikalische Gefahren wie explosiv, entzündbar). Grundlage dafür sind Einstufung nach CLP bzw. Informationen aus dem Sicherheitsdatenblatt.
Informationen des Herstellers oder Inverkehrbringers, insbesondere im Sicherheitsdatenblatt (Kap. 9-11 enthalten Toxikologie, physikalische Daten, etc., Kap. 8 enthält Arbeitsplatzgrenzwerte, Kap. 7 Handhabungsempfehlungen). Auch Betriebsanleitungen oder technische Merkblätter zählen hier.
Art und Ausmaß der Exposition (wie viele Beschäftigte, wie lange und häufig, auf welche Weise – Einatmen, Hautkontakt, Verschlucken – dem Stoff ausgesetzt sein können). Hier fließen eventuell Messergebnisse ein, sofern verfügbar, oder man modelliert Expositionen mit anerkannten Methoden (z. B. EMKG-Modell der BAuA).
Möglichkeiten einer Substitution des Gefahrstoffs oder Verfahrens. Dies ist ein eigener Prüfschritt: Kann ich das verwendete Lösemittel durch ein ungefährlicheres ersetzen, oder das offene Verfahren durch ein geschlossenes austauschen, um die Gefahr zu eliminieren?
Arbeitsbedingungen und Verfahren einschließlich eingesetzter Arbeitsmittel und Menge des Gefahrstoffs. Beispiel: Handhaben die Beschäftigten den Stoff manuell oder ist er in einer Anlage eingeschlossen? Wird er erhitzt (-> Dampfentwicklung)? Ist es eine Daueraufgabe oder seltene Tätigkeit?
Arbeitsplatzgrenzwerte (AGW) und biologische Grenzwerte (BGW). Diese gesetzlichen Grenzwerte (aus TRGS 900 und TRGS 903) geben Anhaltspunkte, ob ein gemessener Wert kritisch ist. Liegt kein AGW vor (für viele Stoffe existiert keiner), muss anhand anderer Richtwerte oder Qualitäten beurteilt werden (z. B. Schwellendosis).
Wirksamkeit der bereits ergriffenen Schutzmaßnahmen. Sind z. B. Absaugungen vorhanden und funktionieren sie ausreichend? Werden PSA tatsächlich getragen und sind sie geeignet? Hier fließen Erfahrung und ggf. Prüfprotokolle ein.
Erkenntnisse aus arbeitsmedizinischen Vorsorgeuntersuchungen. Falls Beschäftigte bereits unter Vorsorge stehen (z. B. wegen Lösemitteln, Beryllium etc.), können Ergebnisse wie Symptome, Blut-/Urinwerte, ärztliche Ratschläge ein Indikator sein, ob die Belastung im Betrieb Probleme bereitet.
Diese Punkte decken den gesamten Bogen von Gefährlichkeit des Stoffes an sich (Punkt 1) bis Bedingungen der Verwendung (Punkte 3,5) und geeignete Maßstäbe (Punkt 6) sowie Bereits getroffene Vorkehrungen (7,8) ab. TRGS 400 liefert zu jedem Aspekt ausführliche Erläuterungen und Hilfen, etwa welche Quellen man nutzen kann. Außerdem betont TRGS 400 die Bedeutung der Tätigkeitsbeschreibung – man soll für jede Tätigkeit mit Gefahrstoffen einen Steckbrief erstellen: was wird gemacht, mit welchem Stoff, in welcher Umgebung. Dies dient als Basis für die Beurteilung.
Ein weiterer inhaltlicher Bestandteil: Die Ermittlung von Schutzmaßnahmen gehört zur GBU untrennbar dazu. Es reicht nicht, die Gefahr zu erkennen; es muss daraus folgen: Was ist zu tun, um die Gefahr zu minimieren oder auszuschalten? Hierbei sind die genannten Hierarchien (STOP-Prinzip) zu beachten und insbesondere für krebserzeugende Stoffe schreibt die Gesetzgebung besonders strenge Maßstäbe an ("so niedrig wie technisch möglich", ggf. Substitutionsgebot, und ab bestimmten Expositionen besondere Überwachung). TRGS 400 verweist auf TRGS 500 ff., in denen standardmäßige Maßnahmen beschrieben sind.
Dokumentation: Gemäß § 6 Abs. 8 ArbSchG und § 6 GefStoffV muss das Ergebnis der Gefährdungsbeurteilung schriftlich dokumentiert werden, zumindest für Betriebe mit >10 Beschäftigten (Kleinstbetriebe sind von allgemeiner Doku befreit, aber bei Gefahrstoffen empfiehlt sich trotzdem eine Aufzeichnung). Diese Dokumentation sollte enthalten: die identifizierten Gefahrstoffe (z. B. Verweis aufs Gefahrstoffverzeichnis), die ermittelten Gefährdungen (z. B. "Einatmen von Methanol-Dampf – neurotoxische und Lebergefährdung"), die festgelegten Schutzmaßnahmen mit Verantwortlichkeiten, und ggf. das Ergebnis von Wirksamkeitsprüfungen oder Messungen. Moderne Software (Kap. 7) ermöglicht es, diese Informationen zentral zu halten.
Praktische Durchführung und Methoden
In einem Großbetrieb ist die Durchführung der Gefährdungsbeurteilung oft ein teamorientierter Prozess.
Typischerweise läuft er so ab:
Vorbereitung: Sammlung aller relevanten Informationen (SDS, Betriebsanleitungen, bereits vorhandene Messwerte, Grenzwertelisten). Evtl. muss man eine Stoffrecherche durchführen, z. B. in GESTIS-Stoffdatenbank, um toxikologische Daten zu erhalten, falls SDS lückenhaft sind. Der Arbeitgeber hat laut GefStoffV die Pflicht, sich die notwendigen Informationen vom Inverkehrbringer oder anderen zugänglichen Quellen zu beschaffen, insbesondere SDS und ggf. bei fehlender Pflicht Infos auf Anfrage.
Einbeziehung der Mitarbeiter: Oft wissen die praktischen Nutzer am besten, wie sie mit dem Stoff umgehen. In Workshops oder Vor-Ort-Begehungen werden daher die tatsächlichen Abläufe angeschaut. Dies verhindert, dass nur "theoretisch" beurteilt wird, während vor Ort vielleicht anders gearbeitet wird.
Bewertungstools: Gerade bei vielen Stoffen helfen standardisierte Tools. Beispielsweise hat die BG RCI das EMKG (Einfaches Maßnahmenkonzept Gefahrstoffe) propagiert, wo anhand von Einstufung (H-Sätzen) und Mengen ein standardmäßiger Maßnahmenvorschlag generiert wird. Solche Modelle vereinfachen die Priorisierung.
Messung: Falls unsicher ist, wie hoch die Exposition ist, sollten Fachleute Messungen durchführen. Beispiele: Luftprobenahme für Lösemittel mit Aktivkohle-Röhrchen, Auswertung im Labor und Vergleich mit AGW aus TRGS 900; Partikelmessungen für Stäube; biologisches Monitoring (Blut-/Urin-Analysen) für z. B. Blei, um BGW-Einhaltung zu prüfen. TRGS 402 gibt Hinweise zur Ermittlung der Konzentration in der Luft.
Beurteilung: Nach Datensammlung erfolgt die Risikobewertung. Hier fließt Erfahrung mit ein. Manche Betriebe nutzen eine Risikomatrix, um das Risiko zu klassifizieren (aus Wahrscheinlichkeit und Schwere der möglichen Schädigung). Gefahrstoffe mit hohem Risiko (z. B. hochgiftig + realistische Exposition) erhalten Priorität bei Maßnahmen.
Maßnahmenfestlegung: Im Team (Fachkraft, Vorgesetzter, evtl. Betroffene) werden praktikable Lösungen gesucht, die dem Stand der Technik entsprechen. Bei Unsicherheiten kann die Aufsichtsbehörde oder BG beratend einbezogen werden, ohne gleich Sanktionen (im Präventionsgedanken).
Wirksamkeitskontrolle: Wichtiger Teil der GBU ist die Überprüfung, ob die getroffenen Maßnahmen das Risiko ausreichend reduzieren. Dies kann man in einem Maßnahmenplan dokumentieren und nachverfolgen. GefStoffV verlangt z. B. bei krebserzeugenden Stoffen explizit einen Maßnahmenplan, wenn bestimmte Risikobereiche betreten werden (im Zuge der 2024-Novelle, Akzeptanz- und Toleranzrisiko-Modell).
Fachkundige Personen: Gesetzlich darf die GBU nur von fachkundigen Personen durchgeführt werden. In der Praxis bedeutet das, dass z. B. ein Produktionsmeister ohne spezielles Gefahrstoffwissen nicht allein die Beurteilung machen sollte. Vielmehr unterstützen die Sicherheitsfachkräfte und ggf. externe Gefahrstoffexperten. Durch Schulungen (z. B. Fachkunde "Geprüfter Gefahrstoffbeauftragter" bei diversen Anbietern) kann man internes Personal qualifizieren. Einige Berufsgenossenschaften fordern für bestimmte Beurteilungen sogar nachweisbare Fachkenntnis (z. B. Schimmelpilzsanierung, Asbest TRGS 519 verlangt Lehrgang Scheine).
Priorisierung: In großen Firmen mit vielen Gefahrstoffen (teils mehrere hundert) ist es unmöglich, alle auf einmal bis ins Detail zu beurteilen. Hier hilft eine Vorpriorisierung: Welche Stoffe sind besonders gefährlich (CMR-Stoffe, sehr giftige)? Welche werden in großen Mengen genutzt? Wo gab es bereits Zwischenfälle? Diese zuerst. Weniger riskante kann man pauschaler beurteilen oder mittels Betriebsanweisungen aus der Literatur.
Dynamik: Die GBU ist nicht statisch. Änderungen, wie neue Rezeptur, geänderte Prozessparameter, neue wissenschaftliche Erkenntnisse (z. B. eine Schärfung der Einstufung von Staub von “verdächtig krebserzeugend” zu “krebserzeugend”) bedingen eine Überprüfung und ggf. Anpassung der GBU. Auch regelmäßige Überprüfungsfristen (z. B. alle 2–3 Jahre einmal komplett durchsehen) haben sich bewährt.
Insgesamt ist die Gefährdungsbeurteilung die entscheidende Entscheidungsgrundlage im Gefahrstoffmanagement: Sie bestimmt, ob die Verwendung eines Stoffes verantwortbar ist und unter welchen Bedingungen. In der GBU manifestiert sich Fachwissen (Chemie, Toxikologie, Technik) ebenso wie die Kenntnis der Arbeitsrealität. Sorgfältig durchgeführt und dokumentiert, reduziert sie das Unfall- und Krankheitsrisiko erheblich und hilft dem Unternehmen, seiner Schutzpflicht gegenüber den Mitarbeitern gerecht zu werden.
Schutzmaßnahmen: Von der Gefährdungsbeurteilung zur Praxis
Die beste Gefährdungsbeurteilung nützt nichts, wenn die identifizierten Schutzmaßnahmen nicht konsequent umgesetzt werden. Daher soll abschließend in diesem Kapitel der Übergang von der Theorie zur Praxis betrachtet werden: Welche Arten von Schutzmaßnahmen gibt es, wie werden diese abgeleitet, und was ist bei der Umsetzung zu beachten?
Gemäß dem Hierarchieprinzip (STOP) werden zunächst Substitutionsmaßnahmen geprüft. Ist es gelungen, einen Gefahrstoff durch einen ungefährlicheren zu ersetzen (z. B. lösemittelfreie Farbe statt lösemittelhaltig), so entfallen viele weitere Risiken. Substitution gilt als Primärprävention und hat Vorrang vor allem anderen.
Lässt sich eine Gefährdung nicht eliminieren, greifen Technische Schutzmaßnahmen als zweite Stufe: Dazu zählen etwa geschlossene Anlagen (Reaktoren, Rohrleitungen statt offenes Schütten), lokale Absaugungen und Lüftungsanlagen, Sicherheitsabstände, Automatisierung (Roboter anstelle manueller Chemikalienhandhabung) und bauliche Schutzvorrichtungen (z. B. Rückhaltesysteme wie Auffangwannen oder Brandschutzwände zwischen Lagerbereichen). Technische Maßnahmen haben den Vorteil, dass sie unabhängig vom Verhalten des Menschen wirken und daher sehr effektiv sind, wenn korrekt ausgelegt. Großbetriebe investieren oft erhebliche Mittel in solche Technik – etwa explosionsgeschützte Absauganlagen, Filter- und Abluftreinigungsanlagen, Brandschutztechnologien – um Gefahrstoffe sicher zu beherrschen.
Organisatorische Schutzmaßnahmen bilden die dritte Stufe: Sie zielen darauf ab, durch Arbeitsorganisation und Verfahrensregeln das Risiko zu senken. Beispiele: Begrenzung der Aufenthaltsdauer von Personal in Bereichen mit Exposition (Job Rotation); Beschränkung der Zugriffszahl – nur speziell unterwiesene Personen dürfen mit einem bestimmten Gift arbeiten (Zugangsberechtigung); Reinheitsgebot – Verbot von Essen/Trinken in Chemikalienbereichen; Einrichtung von Sanitärräumen (Duschen, Augenspülstationen) in Nähe, um Kontamination zu entfernen; Kennzeichnung von Arbeitsbereichen mit entsprechenden Warnschildern („Nur autorisiertes Personal“, „Achtung giftige Stoffe“ etc.). Auch organisatorisch ist die Notfallplanung ein Aspekt: z. B. Bereitschaftshaltung der Werkfeuerwehr, regelmäßige Notfallübungen.
Zu guter Letzt kommen die persönlichen Schutzmaßnahmen, insbesondere die Persönliche Schutzausrüstung (PSA). In vielen Fällen ist PSA unverzichtbar: etwa Chemikalienschutzhandschuhe, wenn Hautkontakt nicht völlig anders zu vermeiden ist; Atemschutzmasken (FFP3 oder ABEK-Filtergeräte) bei unvermeidbarer Restexposition; Schutzbrillen oder Gesichtsschirme gegen ätzende Spritzer; passende Arbeitskleidung, ggf. mit flammenhemmender oder antistatischer Ausstattung je nach Gefahr. PSA ist immer individuell anzupassen (Größen, Filtertypen etc.) und die Benutzer müssen darin unterrichtet und trainiert werden. Zudem fordert DGUV Regel 112-190, dass PSA regelmäßig gewartet und geprüft wird.
Die Gefährdungsbeurteilung liefert die Auswahl der Maßnahmen. Doch in der Umsetzung gilt es, Akzeptanz zu schaffen: Beschäftigte müssen verstehen, warum bestimmte Maßnahmen nötig sind (dazu mehr in Kapitel 6 zu Schulung). Ein häufiger Schwachpunkt ist z. B. das Tragen von Atemschutz oder Schutzbrillen – unbequem, lästig. Hier ist Überzeugungsarbeit und ggf. Durchsetzung durch Vorgesetzte gefragt.
Die Wirksamkeit der Maßnahmen sollte kontinuierlich überwacht werden (Teil der Check-Phase im PDCA-Zyklus). Dazu gehört:
Messtechnische Überwachung: z. B. jährliche Messungen der Lösemittelkonzentration in der Luft, um sicherzustellen, dass die Absaugung genug leistet. Oder Wischproben auf kontaminierten Oberflächen in Labors (Kontrolle der Sauberkeit).
Technische Prüfungen: z. B. Explosionsschutz-Überprüfungen, Dichtheitsprüfungen an Lagertanks, Funktionstests von Gaswarngeräten.
Feedback der Beschäftigten: sind die Maßnahmen praktikabel? Gibt es oft Vorfälle, wo z. B. kleine Leckagen auftreten, was auf Verbesserungsbedarf hindeutet?
Arbeitsmedizinische Vorsorge: bei bestimmten Stoffen (Benzol, Blei, Lärm etc.) schreibt die Verordnung zur arbeitsmed. Vorsorge (ArbMedVV) Pflichtuntersuchungen oder Angebotsuntersuchungen vor. Die Ergebnisse (anonymisiert) kann man als Indikator nehmen, ob die Schutzmaßnahmen greifen (z. B. keine Anzeichen einer Lösungsmittelbelastung in Bluttests).
In diesem Kontext sei die Dokumentation eines Expositionsverzeichnisses erwähnt: Für bestimmte gefährliche Stoffe (insbesondere KMR-Stoffe Kat.1) muss der Arbeitgeber ein Verzeichnis führen, welche Beschäftigten ihnen in welchem Ausmaß ausgesetzt waren, und dieses 40 Jahre aufbewahren. Dies dient dem langfristigen Gesundheitsschutz (Berufskrankheiten-Nachverfolgung).
Abschließend ist zu betonen: Die besten Schutzmaßnahmen bleiben wirkungslos, wenn sie nicht eingehalten werden. Daher geht es Hand in Hand mit Kapitel 6 (Unterweisung und Sicherheitskultur): Nur wenn die Betriebsleitung hohe Priorität auf Gefahrstoffsicherheit legt, ausreichend Ressourcen (z. B. für Technik und PSA von guter Qualität) bereitstellt und die Umsetzung konsequent verfolgt, werden die in der Gefährdungsbeurteilung vorgesehenen Schutzmaßnahmen tatsächlich für Sicherheit sorgen.
Zentrale Elemente des Gefahrstoffmanagements im Betrieb
In diesem Kapitel werden einige praktische Kernbestandteile des Gefahrstoffmanagements näher betrachtet: das Gefahrstoffkataster und Sicherheitsdatenblätter (als Informationsgrundlage), die Kennzeichnung von Gefahrstoffen und ihre sichere Lagerung (als physischer Umgangsschwerpunkt) sowie die Erstellung von Betriebsanweisungen und die Unterweisung der Mitarbeiter (als Kommunikationsinstrument). Diese Elemente greifen ineinander und erfüllen die in Kapitel 1 umrissenen Pflichten aus Gesetzen und Normen.
Gefahrstoffkataster und Sicherheitsdatenblätter
Wie zuvor beschrieben, verlangt die GefStoffV die Führung eines Gefahrstoffverzeichnisses aller im Betrieb eingesetzten Gefahrstoffe. In einem Großunternehmen kann diese Liste sehr umfangreich werden – oft Hunderte von Einträgen. Eine sinnvolle Organisation ist daher wichtig. Üblich ist die Führung des Verzeichnisses in elektronischer Form (z. B. als Datenbank oder Spezialsoftware), damit man nach verschiedenen Kriterien sortieren und suchen kann (Stoffname, Lagerort, Abteilung, Gefahrenklasse etc.).
Das Gefahrstoffkataster sollte aktuell gehalten werden: Zugänge (neue Stoffe) und Abgänge (ausgemusterte Stoffe) sind zeitnah zu vermerken. In vielen Firmen wird dies zentral von der Gefahrstoffmanagementstelle betreut, während die einzelnen Abteilungen Neuzugänge melden müssen. So verhindert man „vergessene“ Chemikalienbestände, die in keinem Register stehen.
Das Kataster dient mehreren Zwecken:
Überblick: Alle Verantwortlichen können jederzeit einsehen, welche Gefahrstoffe wo im Haus sind. Dies ist z. B. für Feuerwehr und Notfälle relevant (Stichwort Feuerwehrplan: welche gefährlichen Stoffe lagern wo?).
Informationsquelle für Beschäftigte: Laut GefStoffV müssen die Angaben des Verzeichnisses den Beschäftigten und ihrem Vertreter zugänglich sein. Praktisch kann das heißen: ein Intranet-Portal, wo Mitarbeiter Stoffe nachschlagen können, oder ein Aushang/Ordner pro Abteilung mit den dortigen Stoffen.
Grundlage für Gefährdungsbeurteilungen: Die Liste ermöglicht es, systematisch für jeden Stoff eine GBU abzuhaken und nichts zu vergessen. TRGS 400 empfiehlt daher auch, das Verzeichnis zu nutzen, um den Fortschritt der Beurteilungen zu dokumentieren.
Compliance-Nachweis: Bei Behördeninspektionen (z. B. Gewerbeaufsicht) wird oft als erstes nach dem Gefahrstoffverzeichnis gefragt. Ein vollständiges, gepflegtes Kataster zeigt, dass der Betrieb seine Pflicht ernst nimmt.
Die Mindestangaben im Verzeichnis sind gesetzlich vorgegeben (siehe Kap. 1.2 oben). Darüber hinaus ergänzen viele Unternehmen weitere Felder, z. B.:
CAS-Nummer (eindeutige Stoffidentifikationsnummer),
Lagerklasse nach TRGS 510 (wichtig für Lagerkonzept),
Wassergefährdungsklasse (WGK) nach AwSV,
Name des Lieferanten (für Nachbestellung und Rückfragen),
Datum der letzten Aktualisierung des SDS,
interner Verantwortlicher (wer ist „Pate“ für diesen Stoff).
In Bezug auf Sicherheitsdatenblätter (SDS) ist zu beachten: Die GefStoffV fordert, dass im Verzeichnis auf das jeweilige SDS verwiesen wird. Praktisch sollte für jeden Stoff das aktuelle SDS vorhanden und leicht zugänglich sein – sowohl für die Fachkräfte als auch für die Beschäftigten. REACH schreibt vor, dass Lieferanten bei der ersten Lieferung automatisch ein SDS in der Amtssprache (also Deutsch) liefern. Aktualisiert sich z. B. die Einstufung eines Stoffes, muss ein aktualisiertes SDS unaufgefordert nachgeschickt werden. Der Betrieb sollte sicherstellen, diese Updates ins System zu übernehmen (eine Herausforderung, wenn man viele Lieferanten hat, daher ideal automatisiert über Software oder regelmäßige Lieferantenanfragen).
Ein SDS umfasst 16 Abschnitte, die u. a. Identität des Stoffs, Einstufung, Zusammensetzung, Erste-Hilfe-Maßnahmen, Feuerlöschmaßnahmen, Unfallfreisetzungsmaßnahmen, Handhabung/Lagerung, Expositionskontrollen (Grenzwerte, PSA), physikalisch-chemische Daten, Stabilität/Reaktivität, toxikologische Angaben, umweltbezogene Angaben, Entsorgung, Transport, Rechtsvorschriften und Sonstiges enthalten. Für das Gefahrstoffmanagement sind SDS die primäre Quelle, um Gefährdungen einzuschätzen (Abschn. 2, 9, 11 z. B.) und um Schutzmaßnahmen vorzuschlagen (Abschn. 8 und 7 enthalten oft Hinweise wie „nur mit lokaler Absaugung verwenden“ oder „unverträglich mit starken Oxidationsmitteln“).
In vielen Fällen liefern SDS auch Hinweise, wie Stoffe sicher zu lagern sind (z. B. Temperaturgrenzen, Fernhalten von Feuchtigkeit, Verträglichkeit mit Materialien). Diese Informationen fließen in betriebliche Anweisungen ein.
Erweiterte Sicherheitsdatenblätter: Für bestimmte Stoffe, insbesondere solche, die im Rahmen von REACH ein Registrierungsdossier mit Expositionsbewertung erfordern, gibt es Expositionsszenarien als Anhänge zum SDS. Darin wird beschrieben, unter welchen Bedingungen der Stoff sicher verwendet werden kann (z. B. maximale Konzentration in einem Produkt, benötigte Lüftungsraten). Großbetriebe als nachgeschaltete Anwender müssen prüfen, ob ihre Verwendung von diesen Szenarien abgedeckt ist. Falls nicht, besteht Handlungsbedarf (Eigenes Expositionsszenario erstellen oder Verwendung der ECHA melden).
Die Praxis zeigt: Ein zentrales SDS-Repository (ob digital oder in Papierordnern) ist unerlässlich. Mitarbeiter müssen jederzeit Zugang zum SDS haben, vor allem im Notfall (Ärzte brauchen z. B. bei Unfällen rasch Infos aus Abschnitt 4 und 11).
Einige Unternehmen erstellen Kurzfassungen oder Produktinformationsblätter aus den SDS, um wesentliche Punkte hervorzuheben. Doch Vorsicht: Im Zweifel gilt immer das offizielle SDS.
Zusammengefasst sind Gefahrstoffkataster und Sicherheitsdatenblätter die Informations-Drehscheibe des Gefahrstoffmanagements. Sie ermöglichen informierte Entscheidungen und Transparenz. Pflege und Aktualität dieser Dokumente haben daher hohe Priorität im Betriebsalltag.
Kennzeichnung von Gefahrstoffen im Betrieb
Die Kennzeichnung von Gefahrstoffen ist ein zentraler Baustein der Gefahrenkommunikation. Alle Gefäße, Behälter, Rohre und Lagerorte, in denen gefährliche Chemikalien vorhanden sind, müssen klar erkennbar machen, welche Gefahr von ihnen ausgeht.
Hier kommen in erster Linie die GHS-Gefahrenpiktogramme und -hinweise ins Spiel, wie in der CLP-Verordnung festgelegt:
Kennzeichnung von Gebinden: Hersteller liefern Chemikalien in der Regel mit vollständigem Etikett gemäß CLP (Piktogramme, Signalwort, H- und P-Sätze, Stoffidentität, Lieferant). Im Betrieb muss sichergestellt sein, dass diese Originalkennzeichnung nicht verloren geht. Wird ein Stoff umgefüllt in ein anderes Gebinde (was möglichst zu vermeiden ist, aber z. B. in Laboren oder bei Abfülltätigkeiten vorkommt), so ist das Sekundärgebinde ebenfalls deutlich zu kennzeichnen – mindestens mit dem Stoffnamen und den passenden Gefahrensymbolen/Hinweisen. Kleine Behälter, auf die kein ganzes Etikett passt, stellen eine Herausforderung dar; hier gibt es Ausnahmeregeln (verschiedene Kennzeichnungssysteme oder nummerierte Behälter mit Zuordnungsliste). Wichtig ist: Unbeschriftete Behälter sind zu vermeiden – jeder Mitarbeiter muss auf Anhieb erkennen können, was er in der Hand hat. Es sollten betriebsintern klare Regeln geben, wie z. B. „Kein Chemikalienbehälter ohne Etikett!“.
Innerbetriebliche Kennzeichnungen: Neben dem CLP-Etikett für Stoffe gibt es auch Zusatzkennzeichnungen.
Beispiele:
Farbcodierungen oder Symbolaufkleber auf Laborflaschen (z. B. roter Punkt für entzündlich, Totenkopf für giftig, etc.), um schneller optisch zu unterscheiden.
Rohrleitungskennzeichnung nach DIN 2403: Rohre, die Gefahrstoffe führen, werden mit Gefahrstoffnamen und Flussrichtung markiert, plus gegebenenfalls Farbcodes (z. B. gelb für brennbare Gase).
Warn- und Verbotsschilder an Lagerräumen: Etwa das allgemeine Warnzeichen „Warnung vor gefährlichen Stoffen“ (schwarzes Ausrufezeichen in gelbem Dreieck) an einem Chemikalienlager; Verbotszeichen „Kein offenes Feuer“ in Bereichen mit Brandgefahr; Hinweis „Zutritt nur für Befugte“ am Giftstofflager. Diese werden nach Arbeitsstättenregel ASR A1.3 und DGUV Vorschriften umgesetzt.
Kennzeichnung von Sicherheitseinrichtungen: z. B. Hinweisschild „Augendusche“ oder „Notdusche“; Richtungspfeile zu Löschern; in größeren Anlagen auch NFPA-Hazard-Diamond (in den USA verbreitet, hierzulande weniger, aber internationale Firmen nutzen es manchmal zusätzlich).
Lagerkennzeichnung: An Schränken oder Regalen, wo verschiedene Stoffe zusammenstehen, wird oft außen angebracht, welche Gefahrklassen innen lagern. Zum Beispiel zeigen Piktogramme auf der Tür eines Säureschranks die Ätzwirkung, auf einem Lösemittelschrank die Flamme. Gemäß TRGS 510 und BG-Regeln müssen Lagerschränke zumindest mit den erforderlichen Warnzeichen versehen sein. In der Praxis sieht man z. B. Aufkleber „Achtung! Säuren/Laugen“ oder „Entzündbare Flüssigkeiten – Feuer und Zündquellen fernhalten“. Bei Giftstoffen eventuell Totenkopf-Piktogramm mit „Giftschrank – Zutritt nur Befugten“. Solche Schilder erhöhen das Bewusstsein und warnen auch fachfremdes Personal (Reinigungskräfte, Handwerker).
Betriebsanweisungen und innerbetriebliche Symbole: In Betriebsanweisungen (siehe Abschnitt 4.4) werden ebenfalls Piktogramme genutzt: sowohl die Gefahrenpiktogramme (um darzustellen, was für Gefahren vom Stoff ausgehen) als auch Symbole für die zu tragende PSA (z. B. Handschuh-Icon, Brille-Icon). Somit wird auch hier visuell kommuniziert, was zu tun ist.
Abschließend darf die Kennzeichnung von Abfällen nicht vergessen werden: Behälter mit chemischen Abfällen müssen eindeutig als solche kenntlich sein (z. B. „Abfall – halogenfreie Lösemittel, entzündbar“ mit Flammensymbol). Ansonsten könnten sie irrtümlich weiter verwendet werden.
Insgesamt sorgt die Kennzeichnung dafür, dass Gefahrstoffe nicht „stillschweigend“ im Betrieb sind, sondern für jeden erkennbar. Dies ermöglicht erst das richtige Verhalten – man kann nur vorsichtig sein, wenn man die Gefahr sieht. Von daher gilt: Lieber zu viel Information als zu wenig anbringen, solange es übersichtlich bleibt.
Lagerung und Transport von Gefahrstoffen
Die sichere Lagerung von Gefahrstoffen ist ein enorm wichtiges Feld, gerade in großen Betrieben mit entsprechend großen Mengen. Fehler bei der Lagerung können zu Bränden, Explosionen oder Umweltkatastrophen führen. Daher gibt es umfangreiche Vorschriften (insbesondere TRGS 510, DGUV-Regeln, AwSV und ggf. StörfallV).
Die wesentlichen Prinzipien der Lagerung sind:
Trennung nach Verträglichkeit: Nicht alle Stoffe dürfen zusammen gelagert werden. Man spricht von Zusammenlagerungsverbote. Beispielsweise entzündbare Flüssigkeiten sollen nicht zusammen mit oxidierenden Stoffen oder starken Säuren gelagert werden, da im Leckagefall gefährliche Reaktionen/Brände drohen. TRGS 510 teilt Stoffe in Lagerklassen ein – Stoffe derselben Klasse sind meist verträglich, verschiedene Klassen erfordern Prüfung. In Großbetrieben gibt es daher oft getrennte Lagerräume oder -schränke: einen für entzündliche Lösemittel, einen für Ätzstoffe, einen Giftschrank etc. Außerdem wird innerhalb eines Schranks geordnet (z. B. Säuren unten in Auffangwanne, Basen separat).
Begrenzung der Lagermenge: Aus Brandschutzgründen begrenzen Vorschriften die maximale Menge, die z. B. in einem Sicherheitsschrank innerhalb eines Arbeitsraums gelagert werden darf (oft 150 Liter für entzündliche Fl., falls Schrank Typ 90). Wenn größere Mengen nötig sind, müssen separate Lagerräume mit speziellen Schutzvorkehrungen (Brandabschnitte, technische Lüftung, ggf. Explosionsschutz) eingerichtet werden. Ab bestimmten Mengen greift auch das Gefahrstofflager-Konzept der TRGS 510, das zwischen Kleinmengen, Lagermengen und Großmengen unterscheidet. Beispielsweise dürfen Kleinmengen unter bestimmten Schwellen auch am Arbeitsplatz stehen, aber Großmengen erfordern aktive Brandschutzmaßnahmen und Zusammenlagerungsverbote.
Sicherheitsschränke und Räume: Ein Sicherheitsschrank nach DIN EN 14470-1 (für entzündbare Flüssigkeiten) hält im Brandfall 90 Minuten stand (Typ 90). Solche Schränke haben automatische Türschließung, Belüftungsanschluss und Auffangwannen im Boden. Sie gelten als eigene „kleine Lager“ im Raum und erhöhen die Sicherheit massiv. Für Gase gibt es belüftete Gasschränke. Giftstoffe werden oft eingeschlossen (verschließbarer Giftschrank). Lagerräume für größere Mengen benötigen Brandmelder, mechanische Lüftung (mind. 5–10 Luftwechsel pro Stunde), explosionsgeschützte Einrichtungen, je nach Stoff Löschanlage und Auffangvolumen (AwSV fordert z. B., dass 100% des größten Gebindes oder 10% der Gesamtlagermenge – je nachdem was mehr ist – aufgefangen werden kann). Die Ausgestaltung erfolgt idealerweise mit Brandschutzexperten.
Auffangwannen und Gewässerschutz: Flüssige Gefahrstoffe, die umweltgefährlich sind, müssen so gelagert sein, dass kein Tropfen unkontrolliert entweichen kann. Daher sind Auffangwannen unter Fässern und IBCs Pflicht. Diese Wannen aus Stahl oder Kunststoff fangen Leckagen auf. Pro Lagereinheit rechnet man mit min. 10% der Gesamtmenge oder 110% des größten Gebindes als Auffangvolumen, wie auch TRGS 510 anführt. AwSV fordert zudem die Dichtheit und regelmäßige Prüfung dieser Auffangsysteme.
Lüftung: Lagerräume und -schränke müssen belüftet werden, insbesondere wenn Stoffe Gase/Dämpfe abgeben. Oft ist ein 10-facher Luftwechsel pro Stunde vorgesehen (bei entzündlichen Flüssigkeiten und Gasen). Abluft wird ins Freie geleitet, möglichst über Dach. Ventilationsausfall muss bemerkt werden (Alarm).
Kennzeichnung und Zugangsbeschränkung: Bereits angesprochen – Türen mit Warnzeichen, ggf. Zugänge abschließen. Unbefugten ist der Zutritt zu Gefahrstofflagern zu verwehren (BG-Regeln sehen z. B. vor, dass Giftschränke verschlossen sein müssen).
Regelmäßige Inspektionen: Lager sollten routinemäßig geprüft werden. Das beinhaltet Inventur (fehlende Gebinde? Alles korrekt beschriftet?), Check der Gebinde auf Dichtheit/korrosionsfreie Außenflächen, Funktion von Sicherheitseinrichtungen (z. B. ob Türen automatisch schließen, ob Lüftung läuft). Ein Lagerwart oder die Fachkraft führt solche Inspektionen in festgelegten Intervallen (z. B. wöchentlich visuelle Kontrolle, jährlich umfassend).
Brandschutz: Neben baulichen Aspekten (Feuerwiderstand) braucht es Feuerlöscher in Reichweite, evtl. spezielle Löschmittel (für Metallbrände z. B. Metallbrandpulver). Mitarbeiter müssen wissen, wie im Brandfall zu reagieren ist – aber oft gilt: eigene Löschversuche nur, wenn keine Personengefährdung, sonst Feuerwehr alarmieren.
Besondere Stoffe: Bestimmte Chemikalien erfordern Extra-Behandlung. Beispiel: Gasflaschen immer sichern gegen Umfallen, getrennt Lagerung von brennbaren und oxidierenden Gasen, Ventilschutz aufgesetzt. Peroxide evtl. gekühlt lagern, begrenzte Haltbarkeit beachten. Selbstentzündliche Stoffe (z. B. weißer Phosphor) unter Inertgas oder Flüssigkeit. Acetylenflaschen nicht liegend lagern. Solche spezifischen Regeln kommen aus TRGS und Herstellerangaben.
Großbetriebe investieren oft in zentrale Gefahrstofflager (ggf. automatisierte Lagersysteme), um Mengen zu bündeln und das Handling zu professionalisieren. Andererseits will man Transportwege intern kurz halten – daher sind dezentrale Sicherheitsschränke in den Abteilungen sinnvoll, um Kleingebinde vorrätig zu haben. So muss nicht jedes Mal ins Zentrallager gegangen werden, was die Akzeptanz erhöht.
Transport intern und extern: Innerbetrieblich werden Gefahrstoffe oft mit Gabelstaplern oder Rohrpost etc. verteilt. Wichtig ist, dass auch hier Sicherheit besteht: z. B. nur dichte Gebinde, ggf. Verwendung von Transportwannen (falls etwas ausläuft), Fahrer unterwiesen in Notfallmaßnahmen (wenn ein Fass vom Stapler fällt – Bereich räumen, kein Funkfeuer, etc.). Außerbetrieblich unterliegt der Transport dem Gefahrgutrecht (ADR/RID). Großbetriebe, die viel Gefahrgut versenden, haben einen Gefahrgutbeauftragten zu stellen, der Schulungen und Überwachung vornimmt. Dies ist aber im Rahmen dieser Arbeit nur am Rande relevant, da Fokus auf innerbetrieblich.
Umgang mit Leckagen: Trotz aller Prävention sollte auf Leckagen vorbereitet sein: Bindemittel (Chemikalienbinder, Ölbinder), Notfallkits (Schutzhandschuhe, Kanalabdeckmatten, Dichtkissen) verfügbar halten. In Kapitel 2.2 (Notfallmanagement) teils erwähnt.
Insgesamt sind Lagerung und Transport die Bereiche, wo Gefahrstoffe in erhöhter Konzentration vorkommen (viele Gebinde auf engem Raum, Bewegung von Stoffen). Deshalb gelten hier besonders strenge Anforderungen. Die Einhaltung dieser ist ein wichtiger Teil der Compliance (Aufsichtsbehörden kontrollieren Lager besonders genau). Eine konsequente Anwendung der genannten Prinzipien minimiert das Risiko von Großschadensereignissen erheblich.
Betriebsanweisungen und Unterweisung der Beschäftigten
Rechtliche Anforderungen (z. B. § 14 GefStoffV, DGUV Vorschrift 1) verpflichten Arbeitgeber, ihre Beschäftigten über Gefahren und den richtigen Umgang mit Gefahrstoffen zu informieren und anzuleiten. Zwei eng verzahnte Instrumente sind dabei die schriftliche Betriebsanweisung und die mündliche Unterweisung.
Betriebsanweisung (BA):
Hierbei handelt es sich um ein kurz gefasstes Informationsblatt, das auf die konkrete Tätigkeit oder den konkreten Gefahrstoff zugeschnitten ist. TRGS 555 und DGUV-Regeln geben hierfür Vorgaben. Eine BA soll in verständlicher Form (auch für Laien) die wichtigsten Schutzinformationen vermitteln, ohne ein SDS 1:1 zu kopieren.
Üblicherweise umfasst eine Gefahrstoff-Betriebsanweisung folgende Punkte:
Stoffbezeichnung und Einsatzort (z. B. „Aceton – Reiniger in Druckerei“).
Gefahren für Mensch und Umwelt: mit den GHS-Piktogrammen, Signalwort und kurzen Beschreibung („Leichtentzündlich, gesundheitsschädlich beim Einatmen, kann Schläfrigkeit verursachen“).
Schutzmaßnahmen und Verhaltensregeln: z. B. „Nur in gut gelüfteten Bereichen verwenden; Zündquellen fernhalten; Schutzhandschuhe aus Nitril tragen; Hautkontakt vermeiden; geeignete Feuerlöscher bereithalten.“
Verhalten im Gefahrfall: Was tun bei Verschütten? („Nicht in Kanalisation gelangen lassen, mit Bindemittel aufnehmen, Lüftung einschalten“) Was tun bei Brand? („CO₂-Löscher verwenden, Feuerwehr rufen“) etc.
Erste Hilfe: z. B. „Bei Einatmen: Person an die frische Luft bringen. Bei Bewusstlosigkeit stabile Seitenlage, Arzt rufen. Bei Augenkontakt: 15 Min ausspülen, Arzt aufsuchen.“
Sachgerechte Entsorgung: z. B. „Reste in Behälter XY sammeln, nicht in Ausguss schütten.“
Datum und Verantwortlicher Unterschrift: zeigt die Aktualität und Autorisierung.
Die Betriebsanweisung wird oft farblich markiert (blauer Rand für Gefahrstoffe gem. DGUV-Empfehlung) und sichtbar an den Arbeitsplätzen ausgehängt. So kann jeder Beschäftigte jederzeit nachlesen, was Sache ist. Außerdem dienen BAs als Gedächtnisstütze bei der Unterweisung.
Unterweisung: Gemäß § 14 GefStoffV müssen Beschäftigte vor der ersten Tätigkeit mit einem Gefahrstoff und danach mindestens jährlich mündlich unterwiesen werden, und zwar arbeitsplatzbezogen über die auftretenden Gefahren und Schutzmaßnahmen. DGUV Vorschrift 1 fordert dies ebenfalls und schreibt eine Dokumentation der Unterweisung vor – meist per unterschriebene Teilnehmerliste mit Datum und Inhalten.
Die Unterweisung sollte idealerweise die Inhalte der Betriebsanweisung abdecken, aber ergänzt durch praktische Demonstrationen oder Hinweise:
Erklärung der Gefahrensymbole: z. B. „Dieses Piktogramm auf dem Kanister bedeutet hochentzündlich. Sehen Sie, wir haben es auch auf dem Schrank angebracht.“
Vorführung der PSA-Benutzung: etwa richtiges An- und Ausziehen von Chemikalienschutzhandschuhen, Prüfen von Filtern im Atemschutz.
Hinweis auf Arbeitsplatzbesonderheiten: „In diesem Raum gibt es eine Abluftanlage, die muss immer laufen, achten Sie auf das grüne Kontrolllicht. Wenn es ausfällt, Arbeit sofort einstellen und melden.“
Diskussion von Erfahrungen: Mitarbeiter dürfen Fragen stellen („Was mache ich, wenn…?“) und aus ihren früheren Beobachtungen berichten. So lernt man auch als Vorgesetzter, wo Unsicherheiten sind.
Notfallübungen: evtl. in die Unterweisung integriert – z. B. einmal durchspielen, wie man einen Augennotfall behandelt (Augendusche benutzen) oder wo der Fluchtweg ist.
Wichtig ist die Verständlichkeit: Dies betrifft insbesondere Fremdsprachige oder gering literarisierte Mitarbeiter. Betriebsanweisungen und Unterweisungen müssen so gestaltet sein, dass alle sie begreifen (ggf. Übersetzungen bereitstellen, Piktogramme nutzen, einfache Sprache).
Die Dokumentation der Unterweisung dient dem Nachweis und der Erinnerung, wann die nächste fällig ist. Viele Firmen verwenden Unterweisungstools oder E-Learning für theoretische Teile, jedoch bleibt eine persönliche Einweisung am Arbeitsplatz durch nichts zu ersetzen.
Sicherheitskultur und Kommunikation: Über die formalen Unterweisungen hinaus, trägt ein ständiger Austausch zur Sicherheit bei. Beispielsweise tägliche Team-Besprechungen mit kurzem Sicherheitstipp („Safety Moment“), Meldekarten-System für Beinaheunfälle mit Chemikalien, und das ermutigende Klima, Fragen zu stellen und Bedenken zu äußern („Ich habe bemerkt, der Kanister hat Risse – wir sollten ihn austauschen“). Führungskräfte müssen solche Anliegen ernst nehmen und prompt handeln. Eine Kultur, in der Gefahrstoffe „totgeschwiegen“ werden oder in der Mitarbeiter Angst haben, Lecks zu melden, wäre fatal.
Deshalb ist Kommunikation in diesem Kontext mehr als Unterweisung: Es bedeutet, dass alle Beteiligten – vom Manager bis zum Lageristen – offen über Gefahren sprechen, voneinander lernen und gemeinsam Lösungen finden. Interdisziplinäre Sicherheits-Teams, in denen z. B. die Instandhaltung, Produktion und Arbeitssicherheit zusammenkommen, können komplexe Probleme (wie „Wie lagern wir Lithium-Batterien sicher?“, ein aktuelles Thema) besser lösen als jeder Bereich für sich.
Schulungen für Fachpersonal: Nicht nur die Arbeiter an vorderster Front brauchen Schulung, auch das betreuende Fachpersonal muss sich fortbilden. Seminare zu neuen gesetzlichen Regelungen (wie der GefStoffV-Änderung 2024), Workshops zu speziellen Gefahrstoffen (Asbest-Lehrgänge, Gefahrgut-Schulungen) etc. sind erforderlich, damit die Organisation als Ganzes auf dem Stand bleibt.
Abschließend sei erwähnt: Gute Unterweisung zeigt sich auch daran, dass Mitarbeiter wissen, wo weitere Infos stehen (z. B. „SDS findest du im Ordner oder Intranet“) und was sie nicht tun dürfen (z. B. nie chemische Behälter mit Lebensmitteln verwechseln, nie Abfälle in normale Mülleimer entsorgen etc.). Das Ziel ist, eigenverantwortliches, sicheres Handeln zu fördern, indem Wissen und Bewusstsein vorhanden sind. In einem Großbetrieb mit vielen Mitarbeitern kann man nicht jeden Handgriff überwachen – man ist darauf angewiesen, dass die Unterwiesenen die Sicherheitsprinzipien verinnerlicht haben.
Digitalisierung und IT-Systeme im Gefahrstoffmanagement
Mit der Größe eines Unternehmens wächst auch die Datenmenge und Komplexität im Gefahrstoffmanagement. Digitalisierung bietet hier enorme Chancen, Prozesse zu automatisieren, Transparenz zu erhöhen und Compliance zu erleichtern. In diesem Kapitel werden moderne IT-Lösungen – insbesondere integrierte Managementsoftware wie SAP EHS – und ihre Einsatzbereiche erläutert. Zudem wird auf die Bedeutung von Schnittstellen zwischen verschiedenen Systemen eingegangen.
Softwareunterstützung: Von Datenbanken zu integrierten EHS-Systemen
Früher wurden Gefahrstoffkataster in Excel-Listen oder Access-Datenbanken geführt, und SDS lagen in Papierordnern. Heute stehen dedizierte Softwaretools zur Verfügung, die das Gefahrstoffmanagement ganzheitlich abdecken. Beispiele sind Module großer ERP-Systeme (SAP EHS Management), spezialisierte Lösungen wie SPhaira, ChemOss oder Quentic, oder BG-Tools (GISBAU/GISChem für Bauchemikalien).
SAP EHS (Environment, Health & Safety Management) ist in vielen Großbetrieben im Einsatz, insbesondere wenn SAP als ERP-Plattform genutzt wird.
Dieses Modul (bzw. in S/4HANA der Nachfolger SAP EHS Management oder Product Compliance) bietet umfangreiche Funktionen:
Stammdatenverwaltung von Gefahrstoffen: Alle relevanten Stoffdaten, Einstufungen, EU-Nummern etc. können zentral gepflegt werden. Es gibt eine Spezifikationsdatenbank, in der jeder Stoff mit seinen Eigenschaften angelegt ist. Damit entfällt Mehrfacheingabe – jeder Bereich greift auf dieselben geprüften Daten zu.
Pflege und Ablage von Dokumenten: SAP EHS ermöglicht das Generieren und Verwalten von Sicherheitsdatenblättern, Betriebsanweisungen und Etiketten. Herstellerunternehmen nutzen dies, um SDS für ihre Produkte zu erstellen. Anwendende Betriebe profitieren davon, SDS elektronisch vorzuhalten und mit ihren Materialstammsätzen zu verknüpfen.
Gefahrstoff- und Gefahrgutmanagement: Das System kann prüfen, ob beim Warenein- oder ausgang Gefahrgutvorschriften zu beachten sind (Verpackung, Kennzeichnung für Transport). Es unterstützt die Einhaltung sich ändernder Vorschriften automatisch – z. B. aktualisiert es Kennzeichnungen, wenn sich die Einstufung ändert, basierend auf hinterlegten Regeln.
Compliance-Prüfungen: Über Regelwerke kann SAP EHS laufend checken, ob Materialien im Sortiment bestimmte verbotene Inhaltsstoffe haben (Stichwort REACH-Anhang XVII Verbote oder Kandidatenliste). Somit lassen sich etwa SVHC-Reporte erstellen, um kritisch eingestufte Stoffe im Betrieb zu identifizieren. Das hilft Entscheidungen zur Substitution oder Autorisierungspflichten zu treffen.
Integration mit Beschaffung und Lager: Ein großer Vorteil integrierter Systeme ist, dass z. B. bei einer Bestellung eines neuen chemischen Artikels automatisch die EHS-Abteilung informiert wird (Workflows). Oder dass das Lagerverwaltungssystem meldet, wenn die Menge eines Stoffs einen Schwellenwert überschreitet (wichtig für Störfallmeldungen oder AwSV).
Vorfallmanagement: Oft enthalten EHS-Systeme Module, um Unfälle, Beinaheunfälle oder Expositionsüberschreitungen zu erfassen und auszuwerten. So können Trends erkannt werden (z. B. häufige Leckagen bei einem bestimmten Prozess).
Reporting und Kennzahlen: Auf Knopfdruck lassen sich Berichte erzeugen – etwa für die Aufsichtsbehörde eine Liste aller Gefahrstoffe mit Mengen und Lagerorten, oder interne KPIs wie Anzahl Schulungen, Prozent der SDS aktualisiert. Bei Audits spart das Zeit und erhöht die Verlässlichkeit.
Rechtskataster: Einige Systeme pflegen auch Datenbanken der Rechtsvorschriften. So könnte man z. B. verlinkt bekommen, welche TRGS für einen Stoff relevant sind, oder Notifications über Änderungen (sofern ein Update-Service vorhanden).
One-Passion Consulting beschreibt z. B., dass SAP EHS durch die Integration mit Materialmanagement eine detaillierte Zerlegung von Produkten in Bestandteile ermöglicht und so umwelt- und sicherheitsbezogene Kriterien umfassend prüfbar macht. Damit können Unternehmen frühzeitig Risiken in Produktlebenszyklen erkennen und managen – also nicht nur für den Arbeitsschutz, sondern auch Produkt-Compliance (z. B. kein verbotener Stoff in einem Verbraucherprodukt).
Ein praktisches Beispiel: Ein Großbetrieb möchte wissen, welche Produkte enthalten den Lösemittel X (das voraussichtlich verboten wird). Im SAP EHS kann man eine Auswertung fahren aller Spezifikationen, die diesen Stoff als Inhaltsstoff haben. Dann weiß man, wo Handlungsbedarf besteht (Ersatz des Produkts, Anpassung des Prozesses etc.). Ohne ein solches System müsste man jede Abteilung abfragen – ineffizient und fehleranfällig.
Digitale Schnittstellen und Automation
Ein entscheidender Faktor für den Erfolg von IT-Systemen ist die Vernetzung.
Gefahrstoffmanagement hat Berührungspunkte mit vielen anderen Geschäftsprozessen:
Einkaufssysteme: Wenn ein neues Chemikalienmaterial bestellt wird, kann eine Schnittstelle dafür sorgen, dass automatisch das SDS angefordert wird oder dass die Bestellung erst freigegeben wird, wenn die Gefahrstoffmanager zugestimmt haben. Beispielsweise richten Unternehmen „Gefahrstoff-Freigabeworkflows“ ein: Der Einkaufsprozess triggert eine Aufgabe ans EHS-System, die Freigabe (nach GBU-Prüfung) wieder zurückspielt, woraufhin erst die Bestellung ausgelöst wird.
Inventur und Lager: Barcode-Scanning oder RFID werden eingesetzt, um Chemikalienbestände in Echtzeit zu verfolgen. Über Schnittstellen kann der aktuelle Bestand im Gefahrstofflager an das EHS-System gemeldet werden, das dann z. B. prüft, ob die Lagermengen im zulässigen Rahmen liegen oder ob meldepflichtige Mengenschwellen überschritten werden. Auch automatische Nachbestellungen (wenn Lager knapp wird) können so mit Sicherheitsüberprüfungen verknüpft werden.
Expositions- und Messdaten: Moderne Sensorik (IoT) kann kontinuierlich Expositionen messen (z. B. VOC-Sensoren für Lösemitteldämpfe im Arbeitsbereich). Deren Daten ließen sich in Echtzeit ans System geben, welches bei Überschreiten von Schwellen alarmiert. Auch Dosimeterdaten oder Filterstandzeiten von Abluftanlagen können erfasst und vernetzt werden.
Lernplattformen: EHS-Software lässt sich mit E-Learning-Systemen verbinden, sodass der Schulungsstatus der Mitarbeiter digital erfasst ist. So könnte bei einem Mitarbeiter im System hinterlegt sein, für welche Gefahrstoffe er unterwiesen ist. Solange er z. B. keine Schulung für den Umgang mit Chrom(VI) hatte, könnte das System eine Warnung geben, falls er in so einen Bereich eingeplant wird.
Notfallmanagement: Im Ereignisfall (Leckage) könnte ein digitaler Gefahrenabwehrplan auf einem Tablet Informationen bereitstellen (Welche Stoffe sind betroffen? SDS als PDF aufrufbar? Welche Ventile schließen?). Firefighter-Apps existieren, die auf Gefahrstoffdatenbanken zugreifen können.
Viele Systeme werden heute als Cloud-Lösungen angeboten, was standortübergreifende Nutzung erleichtert. Mitarbeiter können per Tablet vor Ort das SDS scannen (QR-Code auf dem Gebinde, der ins SDS-Repository führt) und sofort die wichtigsten Infos sehen – eine immense Verbesserung gegenüber dem Suchen in Ordnern. Ebenso kann man Vorfälle sofort per Smartphone-App melden (Foto von ausgelaufener Flüssigkeit, ins System hochladen, EHS-Stelle wird informiert).
Automatisierte Aktualisierungen: Einige Softwarelösungen haben Abonnements für gesetzliche Änderungen oder gestatten es, die Gefahrstoffdaten von externen Diensten zu importieren (Stichwort „SDB-Online-Dienste“). So könnte ein Betrieb seine SDS automatisch aktualisieren lassen, wenn der Lieferant über einen Service das neue PDF bereitstellt. Das reduziert manuellen Aufwand.
Auswertungen und KI: Zukünftig denkbar (teils bereits realisiert) ist der Einsatz von Künstlicher Intelligenz, um z. B. SDS-Inhalte automatisch zu interpretieren und Alarm zu schlagen, wenn ein kritischer neuer Satz auftaucht („H350 - krebserregend“ neu in aktualisiertem SDS -> Info an Gefahrstoffmanager). Auch könnten KI-Analysen helfen, aus Unfallberichten Muster zu erkennen („Die Mehrheit der Zwischenfälle passiert in Anlage B – möglicherweise Schwachstelle X“).
Trotz all dieser Möglichkeiten muss man beachten: Die Implementierung solcher Systeme ist aufwändig und will gut geplant sein. Stammdatenqualität ist entscheidend – oft müssen anfangs alle Stoffe korrekt im System angelegt werden, was Projektarbeit erfordert. Mitarbeiter müssen geschult werden, die Software zu nutzen. Und es fallen Kosten an (Lizenzen, Pflege).
Aber die Vorteile überwiegen meist in Großbetrieben: Zeitersparnis, höhere Genauigkeit, schnellere Reaktionsmöglichkeiten, und bessere Nachverfolgbarkeit (Audit-Trail). Beispielsweise berichtete ein Unternehmen, dass durch SAP EHS die Anzahl manualer Gefahrstoff-Eingabefehler drastisch sank und Audits praktisch „paperless“ abliefen, da alle Dokumente digital vorlagen.
Ausblick: Digitalisierungstrends im Gefahrstoffmanagement
Virtuelle Realität (VR) Schulungen: Mitarbeiter könnten im VR-Lernraum Gefahrstoffsituationen üben, ohne echter Gefahr ausgesetzt zu sein (z. B. virtuelles Löschen eines Laborbrandes).
Blockchain für Lieferketten: Um die Echtheit von SDS zu verifizieren und in der Lieferkette lückenlos Stoffinformationen weiterzugeben, werden Blockchain-Technologien diskutiert – insbesondere im Kontext Chemikalieninsformationsaustausch bis zum Endprodukt (Stichwort „Material Passport“).
Big Data: Globale Unternehmen sammeln Unmengen an Sicherheitsdaten. Durch Big-Data-Analysen könnten branchenweite Erkenntnisse gewonnen werden, z. B. welcher Umgang besonders unfallträchtig ist, oder welche Kombination von Stoff und Mensch zu Berufskrankheiten führt (natürlich unter Datenschutzgesichtspunkten heikel).
Digital Twin: Ein digitaler Zwilling einer Anlage könnte die Verteilung von Gefahrstoffen simulieren. In einer Prozessanlage ließe sich etwa darstellen, wo überall brennbare Atmosphäre entstehen könnte, und man könnte mit Simulation prüfen, ob Lüftung genügt. So würden GBU und Ex-Schutz teils virtuell getestet.
Nicht zuletzt hat die COVID-19-Pandemie gezeigt, dass Remote-Arbeit auch im EHS-Bereich Einzug hält: Fern-Audits, digitale Begehungen per Helmkamera etc. Auch Gefahrstofflager könnten zukünftig durch IoT-Sensoren aus der Ferne überwacht werden (Temperatur, Gaskonzentration) und bei Auffälligkeiten automatisch Alarm ans Smartphone des Bereitschaftsdienstes senden.
Zu beachten ist allerdings, dass Technik unterstützt, aber nicht ersetzt: Die grundlegende Sicherheitskultur und Sorgfalt der handelnden Personen bleibt entscheidend. Eine digital überwachte Auffangwanne hält zwar Daten bereit – verhindern muss die Leckage aber immer noch ein durchdachtes Anlagenkonzept und menschliche Vorsicht.
Zusammenfassend bietet die Digitalisierung Werkzeuge, um das umfangreiche Informations- und Kontrollbedürfnis im Gefahrstoffmanagement effizient zu bedienen. Insbesondere in Großbetrieben mit vernetzter Produktion (Industrie 4.0) wird ein integriertes EHS-Datenmanagement zum Rückgrat der Compliance und Sicherheit. Unternehmen, die früh auf solche Systeme setzen, können flexibler auf neue Anforderungen reagieren und haben im Tagesgeschäft einen spürbaren Qualitätsgewinn in der Gefahrenkontrolle. Es ist jedoch wichtig, die Digitalisierung immer mit der Schulung der Mitarbeiter zu verzahnen, damit die High-Tech-Lösungen auch voll genutzt werden und nicht am „Faktor Mensch“ vorbeigehen.
Aktuelle Entwicklungen, Herausforderungen und Compliance-Erfordernisse
In den vergangenen Kapiteln wurden die etablierten Elemente des Gefahrstoffmanagements beschrieben. Doch die Rahmenbedingungen bleiben nicht statisch: Gesetzesänderungen, technologische Innovationen, neue wissenschaftliche Erkenntnisse und gesellschaftliche Erwartungen sorgen dafür, dass Unternehmen ständig vor neuen Herausforderungen stehen. In diesem Kapitel werden einige aktuelle Trends und Schwierigkeiten beleuchtet – und es wird diskutiert, wie Großbetriebe diesen begegnen können, um weiterhin rechtskonform und sicher zu bleiben.
Gesetzliche Neuerungen und strengere Vorgaben
Wie bereits in Kapitel 1 angeführt, gab es jüngst einige Änderungen in der GefStoffV (Ende 2024), die die Unternehmen vor Umsetzungsbedarf stellen. Die Berücksichtigung psychischer Belastungen im Umgang mit Gefahrstoffen ist neu – nun muss in der Gefährdungsbeurteilung auch darauf geachtet werden, ob z. B. die ständige Angst vor Exposition oder die mentale Belastung durch das Arbeiten in Schutzausrüstung die Mitarbeiter beeinträchtigt. Unternehmen müssen hierfür Methoden entwickeln, etwa Befragungen oder Beobachtungen, um psychische Beanspruchungen zu erkennen, und ggf. gegensteuern (durch Rotationsplanung, mehr Pausen, bessere Kommunikation). Dies verdeutlicht den ganzheitlichen Ansatz im Arbeitsschutz.
Zudem erfordert die Erweiterung des Adressatenkreises der GefStoffV auf private Auftraggeber (Mitwirkungspflicht) ein Umdenken bei z. B. Bauunternehmen und Wartungsfirmen: Sie müssen nun aktiv Informationen vom Kunden einholen (z. B. Verdacht auf Gefahrstoffe im Gebäude wie Asbest, PCB) und diesen auch über die Gefahren ihrer Arbeiten informieren. Das steigert den administrativen Aufwand, soll aber die Sicherheit z. B. im Handwerk verbessern.
Die neuen Regelungen zu KMR-Stoffen (Karzinogene, Mutagene, Reprot toxische) verschärfen den Arbeitsschutz weiter. Unternehmen, die mit solchen Stoffen umgehen (etwa in Laboren, Reinigen von Schornsteinen, Galvanik mit Chrom VI etc.), müssen nun reproduktionstoxische Stoffe genauso behandeln wie bisher Kanzerogene: Es gelten besondere Schutzmaßnahmen (§ 10 GefStoffV) und ein Expositionsverzeichnis mit 5-jähriger Aufbewahrung für Reprotoxika. Das bedeutet, es muss dokumentiert werden, welche Beschäftigten wann wie lange z. B. mit Blei oder bestimmten Lösemitteln gearbeitet haben, die die Fruchtbarkeit beeinträchtigen können. Hierfür müssen Großbetriebe ihre bestehenden Gefahrstoffkataster evtl. erweitern (Zusatzkennzeichen „KMR“ im Verzeichnis) und die Vorsorgeuntersuchungen anpassen (Angebot von Beratung etwa vor Schwangerschaft).
Auch auf EU-Ebene sind weitere Änderungen in der Pipeline: Die EU-Kommission arbeitet an einer umfassenden REACH-Reform (um 2025/26 erwartet), die möglicherweise neue Pflichten für nachgeschaltete Anwender bringt, strengere Zulassungsverfahren, eine Ausweitung des Scopes (derzeit sind z. B. Polymere nicht registrierungspflichtig, das könnte sich ändern). Großbetriebe müssen solche Entwicklungen im Blick haben, insbesondere wenn sie nicht nur Anwender, sondern Hersteller von Stoffen sind. Eine potenzielle Herausforderung wäre z. B. die Pflicht, Kleinmengen gefährlicher Gemische an eine zentrale EU-Datenbank zu melden (Stichwort Giftinformationszentren – hier gibt es bereits PCN-Meldepflichten nach CLP für Gemische mit UFI-Codes). Dies erfordert entsprechende Workflows, damit jede neue Rezeptur oder Mischung gemeldet wird.
Die CLP-Änderung mit neuen Gefahrenklassen (2023/2024) haben wir erwähnt. Betriebe müssen bis 2025 ihre Stoffe danach neu klassifizieren, was z. B. bedeutet: Wer einen Stoff einsetzt, der z. B. sehr persistent und sehr mobil ist, muss diesen ab dem Stichtag entsprechend kennzeichnen – auch wenn er für den Menschen nicht toxisch ist. Das erhöht die Anzahl der als „gefährlich“ geltenden Stoffe. In der Praxis könnten plötzlich einige bisher nicht gekennzeichnete Produkte Kennzeichnungen tragen (z. B. bestimmte PFAS-Chemikalien, die extrem persistent sind). Dies hat Folgewirkungen: mehr SDS-Pflichten, mehr Schulungsbedarf, eventuell Entsorgungsprobleme. Großbetriebe müssen ihre Stoffportfolios überprüfen und Lieferanten kontaktieren, um auf dem aktuellen Stand zu sein.
Ein weiterer Trend: Grenzwerte werden fortlaufend verschärft oder neu eingeführt. Die EU hat seit 2017 regelmäßig die Richtlinie 2004/37/EG um zusätzliche Grenzwerte für Karzinogene erweitert (Chrom VI, Hartholzstaub, Dieselruß etc.). Deutschland setzt diese als AGW um. Für Betriebe heißt das: Möglicherweise müssen sie die Technik nachrüsten, um die strengeren Werte zu schaffen (z. B. bessere Absaugungen bei Schweißarbeitsplätzen wegen strengerer Schweißrauchgrenzwerte). Auch biologische Grenzwerte sind in Diskussion – bei Blei etwa soll der Blutgrenzwert gesenkt werden, was in Akkumulatorenwerken etc. große Veränderungen erzwingt.
Zusammenfassend stehen Großbetriebe vor der Daueraufgabe, Compliance mit einem sich ständig ändernden Rechtsrahmen sicherzustellen. Das erfordert ein proaktives Rechtskataster-Management: fortlaufendes Monitoring von Gesetzesänderungen (z. B. über Mitgliedschaften in Verbänden, Newsletter, fachliche Unterstützung) und dann Umsetzung in betriebliche Anweisungen. Es empfiehlt sich, Änderungsbeauftragte zu benennen, die z. B. jährlich ein Compliance-Update erarbeiten: „Was hat sich geändert? Was müssen wir tun?“. Unternehmen, die dies vernachlässigen, riskieren bei einer Kontrolle Überraschungen – und im schlimmsten Fall Bußgelder oder Betriebsstilllegungen, falls gravierende Nichteinhaltungen entdeckt werden.
Praktische Herausforderungen im Betriebsalltag
Datenflut und Qualität der Informationen: Gerade Großbetriebe mit tausenden Gefahrstoffen stehen vor dem Problem, die Informationen aus SDS in konsolidierter Form aufzubereiten. Leider sind SDS von sehr unterschiedlicher Qualität – einige sind unvollständig oder fehlerhaft. Insbesondere bei Importen aus Nicht-EU-Ländern oder bei sehr alten Produkten kann es passieren, dass das SDS nicht dem neuesten Standard entspricht. Hier muss der Betrieb selbst aktiv werden, Daten prüfen und ggf. nachfordern. Das kostet Zeit und erfordert Fachkenntnis.
Mitarbeiterverhalten und Sicherheitskultur: Trotz Schulungen kommt es immer wieder vor, dass Schutzmaßnahmen im Alltag ignoriert oder umgangen werden. Gründe sind Bequemlichkeit („die Schutzbrille beschlägt, ich setze sie kurz ab“), Zeitdruck, oder Unwissen bei neuen Mitarbeitern. Eine dauerhafte Herausforderung ist es, Sicherheitsbewusstsein aufrechtzuerhalten. Großbetriebe setzen teils Behaviour-Based-Safety-Programme ein, bei denen Sicherheitsbeobachter positives Verhalten loben und negatives ansprechen. Doch dies muss sensibel gehandhabt werden, um keine Schuldzuweisungs-Kultur zu schaffen. Kurz gesagt: Der „Faktor Mensch“ bleibt ein Unsicherheitsfaktor, und kontinuierliche Motivation und Überzeugungsarbeit sind nötig.
Substitution in der Praxis: Theoretisch ist Substitution geboten, praktisch aber oft schwer. Viele Prozesse sind seit Jahren auf einen bestimmten Stoff optimiert. Eine Ersatzstoffsuche (z. B. Chrom(VI)-freie Beschichtung oder bleifreies Lot) erfordert Forschung, Investitionen und birgt Qualitätsrisiken. Unternehmen müssen hier abwägen zwischen Sicherheit vs. Wirtschaftlichkeit/Produktqualität. Gerade in branchenübergreifenden Anwendungen (Lösemittel, Reinigungsmittel) gibt es mittlerweile gute Ersatzstoffe (Wasserbasierte Systeme, VOC-freie Reiniger). Aber in Spezialfällen (z. B. bestimmter Kleber, medizinische Chemikalien) ist kein Ersatz in Sicht. Die Herausforderung besteht darin, innovativ zu sein und ggf. mit Lieferanten oder Forschungseinrichtungen an Ersatzlösungen zu arbeiten, anstatt nur zu hoffen, dass man vom Regulator verschont bleibt.
Komplexe Lieferketten und externe Firmen: In Großbetrieben sind oft Fremdfirmen tätig (Reinigungsdienst, Instandhalter, Bauprojekte). Diese bringen mitunter eigene Gefahrstoffe mit oder sind den vorhandenen ausgesetzt. Die Koordination, dass auch diese Personen ausreichend unterwiesen sind und sich an die Regeln halten, ist nicht trivial. Beispielsweise ein externes Reinigungsteam, das mit einem starken Desinfektionsmittel arbeitet – der Auftraggeberbetrieb muss sicherstellen, dass dies ins eigene Gefahrstoffkataster aufgenommen wird und die Fremdfirma die entsprechenden Schutzmaßnahmen trifft. Hier kommt es oft zu Schnittstellenproblemen („Dafür sind wir doch nicht zuständig…“). Klare vertragliche Regelungen und Briefings für Fremdfirmen sind nötig, aber oft lückenhaft. Das birgt rechtliche Risiken (Stichwort: Wer haftet, wenn ein Fremdfirmenmitarbeiter durch einen Gefahrstoff verunglückt?).
Entsorgung und Umweltauflagen: Die Entsorgung von gefährlichen Abfällen wird zunehmend teurer und strenger. Unternehmen stoßen an Kapazitätsgrenzen, z. B. bei der Entsorgung halogenierter Lösemittel, da es nur wenige Verbrennungsanlagen gibt. Zudem verlangen Aufsichtsbehörden mehr Nachweise. Das Gefahrstoffmanagement muss sich eng mit dem Umweltmanagement abstimmen, um Abfallmengen zu reduzieren (vielleicht durch Recycling intern) und stets korrekt zu deklarieren. Ein Missstand ist oft, dass in Produktion Abfallgefäße falsch befüllt werden (d.h. Vermischung inkompatibler Abfälle, was zu gefährlichen Reaktionen führen könnte, oder falsche Beschriftung). Das erfordert fortgesetzte Schulung und Kontrolle.
Neue Arbeitsformen: Trends wie agilere Fertigung, häufigere Produktwechsel (z. B. in Automobilindustrie auf E-Mobilität) bringen neue Chemikalien ins Spiel (andere Batteriematerialien, Klebstoffe etc.). Das Gefahrstoffmanagement muss mit dem Innovationstempo mithalten. Wird z. B. in der Produktion plötzlich ein Nanomaterial eingesetzt, müssen schnell Richtlinien her: Nanopartikel verhalten sich teils anders als klassische Stäube – hier fehlen noch verlässliche Grenzwerte, man muss den Vorsorgeansatz wählen (Einhausung, höchste Schutzstufe). Solche Emerging Risks (z. B. Nanomaterialien, 3D-Druck-Emissionen) stellen Unternehmen vor die Herausforderung, im Voraus möglichst viel zu lernen und vielleicht branchenübergreifend Wissen zu teilen.
Personal und Fachkräftemangel: Die Fülle an Aufgaben erfordert gut ausgebildete Fachleute. Es wird jedoch berichtet, dass Sicherheitsingenieure und Toxikologen nicht leicht zu rekrutieren sind. Viele erfahrene Gefahrstoffexperten gehen in Rente, jüngere müssen nachrücken. Eine Herausforderung ist daher auch, internes Know-how zu halten und rechtzeitig Wissenstransfer zu organisieren (z. B. Patensysteme: ein Senior Experte bildet Nachwuchs systematisch aus). Gleichzeitig wird die EHS-Abteilung in manchen Firmen (fälschlich) als Kostenträger gesehen und schlank gehalten. Das kann gefährlich werden, wenn am falschen Ende gespart wird.
Kontrollen und Haftung: Die staatlichen Gewerbeaufsichtsämter und die Unfallversicherungsträger führen regelmäßige Schwerpunktactionen durch. Z. B. gab es Kampagnen zur Überprüfung von krebserzeugenden Stoffen in Betrieben. Für das Unternehmen bedeutet das Stress, wenn man auf eine Kontrolle nicht vorbereitet ist. Hier zahlt es sich aus, Compliance stets auf Stand zu halten, anstatt hektisch vor einer angekündigten Kontrolle Dinge zu korrigieren. Auch die Haftungsrisiken steigen: Die Rechtsprechung zieht z. B. Führungskräfte zur Verantwortung, wenn offenkundige Verstöße vorlagen. Eine bekannte Herausforderung ist hierbei die Ablage und Nachweisführung: „Wenn es nicht dokumentiert ist, hat es nicht stattgefunden.“ – nach diesem Motto müssen Schulungen, Prüfungen, Entsorgungsnachweise akribisch aufgehoben werden, um im Ernstfall belegen zu können, dass man seinen Pflichten nachgekommen ist.
Compliance-Strategien und Best Practices
Angesichts der vielen Anforderungen stellt sich die Frage: Wie kann ein Großbetrieb effektiv und effizient Compliance im Gefahrstoffbereich sicherstellen?
Einige Best Practices zeichnen sich ab:
Regelmäßige interne Audits und Management Reviews: Ein internes Auditteam (ggf. in Kombination mit ISO 45001 Audits) prüft jährlich Stichproben: Sind die Gefahrstoffverzeichnisse aktuell? Stimmen Lagerbedingungen mit TRGS 510 überein? Werden Mitarbeiter befragt, ob sie die Regeln kennen? Die Ergebnisse werden dem Top-Management berichtet, das notwendige Ressourcen bereitstellt, um Lücken zu schließen. So entdeckt man Probleme, bevor es der externe Prüfer tut.
Benchmarking und Netzwerke: Große Unternehmen tauschen sich in Branchenverbänden über gute Lösungen aus (z. B. how to handle new CLP classes, oder welche Software klappt gut). Auch BG-ERFA-Kreise (Erfahrungsaustausch) können helfen. Dieses Lernen von anderen reduziert „Neuerfindung des Rades“.
Kompetenzzentren intern: Ist ein Betrieb sehr groß, lohnt es sich, themenbezogene Kompetenzzentren zu etablieren – z. B. ein Zentrallabor für Gefahrstoffmessungen, das alle Abteilungen bei Expositionsmessungen unterstützt, oder ein Chemikalien-Service, der zentral SDS verwaltet und Abteilungen zu Entsorgung berät. So muss nicht jeder Bereich eigenes Expertenwissen in voller Tiefe haben, sondern kann auf die interne Beratung zurückgreifen.
Gefahrstoff-Beauftragtennetz: Auch wenn kein gesetzlicher Gefahrstoffbeauftragter vorgeschrieben ist, kann man ein Netzwerk von lokalen Gefahrstoffverantwortlichen spannen. Etwa jeder Betriebsteil hat einen Mitarbeiter, der zusätzlich geschult ist und als erster Ansprechpartner in seinem Bereich fungiert. Diese treffen sich regelmäßig mit der Zentrale, berichten Probleme und bekommen Updates. Das erhöht die Präsenz des Themas vor Ort und verbessert den Informationsfluss.
Dokumenten- und Revisionsmanagement: Für die vielen Dokumente (GBUs, BAs, SDS) sollte ein stringentes System existieren, wer freigeben darf, wie versioniert wird, wo abgelegt wird. Nichts ist peinlicher als veraltete Anweisungen am Schwarzen Brett. Versionsmanagement (z. B. über SharePoint oder DMS) verhindert Konfusion.
Kultur der Offenheit: Schon erwähnt, aber wesentlich: Mitarbeiter sollten nicht befürchten müssen, Sanktionen zu erhalten, wenn sie einen Fehler melden (z. B. „Ich habe versehentlich zwei Chemikalien zusammengeschüttet, es gab Dämpfe...“). Stattdessen muss die Führungsebene solche Meldungen wertschätzen und als Anlass nehmen, Prozesse zu verbessern. Nur so erfährt man überhaupt von Problemen.
Fokus auf besonders Risikoreiche Bereiche: 80/20-Regel – oft kommen 20% der Stoffe für 80% des Risikos auf. Diese sollte man besonders engmaschig betreuen (KMR-Stoffe, akute Gifte, explosives Material). Dort kann man z. B. strengere interne Standards setzen (z. B. „Mit Benzol darf nur in Abzug mit Unterdruckalarmsystem gearbeitet werden, obwohl es auch im geschlossenen Behälter ginge“ – also bewusst mehr tun als gefordert, um auf Nummer sicher zu gehen).
Notfallübungen: Um auf Ernstfälle vorbereitet zu sein und auch Schwachstellen zu erkennen, sollten regelmäßig Übungen stattfinden, z. B. ein Leckage-Szenario nachstellen mit der Werkfeuerwehr. Im Debriefing lernt man, ob die Kommunikation, Ausrüstung etc. gepasst hat. Solche Proben erhöhen auch die Routine der Mitarbeiter und nehmen die Scheu.
Regelmäßige Gesundheitsüberwachung: Über das vorgeschriebene Maß hinaus bieten viele Großbetriebe ihren Mitarbeitern freiwillige Gesundheitschecks an (z. B. jährlicher Lungenfunktionstest für Schweißer). Damit können frühzeitig Abweichungen erkannt werden. Auch anonymisierte Auswertung von Krankheitsdaten kann Hinweise liefern (wenn z. B. in einer Abteilung gehäuft Hauterkrankungen auftreten, stimmt evtl. der Hautschutz bei Chemikalien nicht).
Letztlich ist Compliance kein einmal erreichter Zustand, sondern ein laufender Prozess, der ständige Anpassung erfordert. Unternehmen müssen hierfür eine gewisse Resilienz entwickeln – Veränderungen als gegeben ansehen und flexibel reagieren. Wer proaktiv mit Entwicklungen geht (z. B. schon mal Alternativen testet bevor das Verbot kommt, schon mal Mitarbeiterschulungen zu GHS-Endokrinenffekten einplant, etc.), der wird am Markt bestehen und als attraktiver Arbeitgeber gelten.
Ein interessanter Aspekt der heutigen Zeit ist auch der gesellschaftliche Druck hin zu mehr Nachhaltigkeit und Gesundheitsschutz. „Green Chemistry“ und „Zero Harm“ sind Schlagworte. Investoren fragen in ESG-Ratings, wie viele gefährliche Stoffe ein Unternehmen noch einsetzt, Verbraucher achten auf „frei von XYZ“ Labels. Dies kann für branchenübergreifende Großbetriebe bedeuten, dass freiwillig strengere Maßstäbe angelegt werden als gesetzlich nötig, um in diesen Ratings gut abzuschneiden oder das Firmenimage positiv zu halten. Zum Beispiel verzichten manche Firmen intern auf bestimmte Lösemittel, obwohl sie noch legal wären, um als Vorreiter dazustehen.
Anhang A: Wichtige Abkürzungen und Begriffe
REACH : Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals: Europäische Chemikalien-Verordnung zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung von Chemikalien (EG Nr. 1907/2006). Regelt u. a. Stoffregistrierungen und Sicherheitsdatenblätter.
CLP – Classification, Labelling and Packaging: EU-Verordnung zur Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen (EG Nr. 1272/2008), Umsetzung des GHS-Systems.
GHS – Globally Harmonized System: Weltweit harmonisiertes System zur Einstufung und Kennzeichnung von Chemikalien (UNO-Konzept, in EU via CLP umgesetzt, z. B. rote Rautensymbole).
ArbSchG – Arbeitsschutzgesetz: Deutsches Grundgesetz für Arbeitsschutz (allgemeine Pflichten des Arbeitgebers zur Gefährdungsbeurteilung, Maßnahmen, Unterweisung etc.).
GefStoffV – Gefahrstoffverordnung: Zentrale Verordnung zum Schutz vor Gefahrstoffen in Deutschland (Regelt Einstufung/Kennzeichnung, Schutzmaßnahmen, Verbote; Umsetzung EU-Richtlinien).
BetrSichV – Betriebssicherheitsverordnung: Verordnung über Sicherheit von Arbeitsmitteln und Anlagen, inkl. Explosionsschutz bei gefährlichen Atmosphäre (ATEX).
TRGS – Technische Regeln für Gefahrstoffe: Konkretisieren die GefStoffV in verschiedenen Bereichen (z. B. TRGS 400 Gefährdungsbeurteilung, TRGS 510 Lagerung).
DGUV – Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung: Dachverband der Berufsgenossenschaften; DGUV-Vorschriften und -Regeln sind Unfallverhütungsvorschriften (z. B. DGUV V1 „Grundsätze der Prävention“).
AGW – Arbeitsplatzgrenzwert: Luftgrenzwert für Stoffkonzentration am Arbeitsplatz (in der Regel als 8-Stunden-Mittelwert), definiert in TRGS 900.
BGW – Biologischer Grenzwert: Grenzwert für Konzentration eines Stoffes oder seiner Metaboliten im biologischen Material (Blut, Urin) eines Beschäftigten (TRGS 903).
KMR-Stoffe : Stoffe, die krebserzeugend (Kanzerogen), erbgutverändernd (Mutagen) oder fortpflanzungsgefährdend (Reprotoxisch) sind. Kategorie 1A/1B besonders gefährlich, strenge Vorschriften (ehemals „CMR“ auf Englisch).
CMR : Carcinogenic, Mutagenic, Reprotoxic (engl. für KMR).
SVHC : Substance of Very High Concern: Besonders besorgniserregender Stoff, gelistet nach REACH (Kandidat für Autorisierungspflicht).
PBT/vPvB : Persistent, Bioaccumulative, Toxic / very Persistent, very Bioaccumulative: Stoffe, die sich in Umwelt anreichern und schlecht abbaubar sind (neue CLP-Kategorie).
PMT/vPvM : Persistent, Mobile, Toxic / very Persistent, very Mobile: Stoffe, die besonders mobil im Boden-/Wassersystem sind und schwer zurückhaltbar (neue CLP-Kategorie).
WGK : Wassergefährdungsklasse: Einstufung wassergefährdender Stoffe in Deutschland (von 1 = schwach wassergefährdend bis 3 = stark wassergefährdend), relevant für AwSV.
AwSV : Verordnung über Anlagen zum Umgang mit wassergefährdenden Stoffen: Deutsche Umweltverordnung, regelt Lagerung und Handling von Stoffen, die Gewässer gefährden können (z. B. Forderung nach Auffangwannen).
SDS : Sicherheitsdatenblatt (engl. Safety Data Sheet): Informationsdokument (16 Abschnitte) für gefährliche Stoffe/Gemische mit allen relevanten Daten für sichere Handhabung.
BA – Betriebsanweisung: Schriftliche Anweisung im Betrieb, die in knapper Form Gefahren und Verhaltensregeln (für Gefahrstoffe oder Maschinen) darstellt.
PSA – Persönliche Schutzausrüstung: Schutzmittel, die von Personen getragen werden (z. B. Handschuhe, Atemschutz, Schutzbrille, Sicherheitsschuhe).
EHS – Environment, Health & Safety: Oberbegriff für Umwelt-, Gesundheits- und Arbeitssicherheitsbelange; oft Name von Abteilungen oder Softwaremodulen.
SAP EHS : Softwaremodul von SAP für Umwelt, Arbeits- und Gesundheitsschutz Management (Gefahrstoffmanagement, Unfallmanagement, ProduktCompliance etc. in SAP integriert).
EMS / AMS : Environmental Management System / Arbeitsschutz-Management-System, z. B. nach ISO 14001 bzw. ISO 45001.
ASiG – Arbeitssicherheitsgesetz: Gesetz über Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit (regelt die Bestellung und Aufgaben dieser).
Gefahrgut : Gefährliche Güter, die transportrechtlich geregelt sind (ADR/RID); zu unterscheiden von Gefahrstoffen (Arbeitsschutz). (Gefahrgutbeauftragter: separate Rolle für Transport).
ADR : Europäisches Übereinkommen über die internationale Beförderung gefährlicher Güter auf der Straße (Regelwerk für Gefahrguttransporte, analog RID für Schiene).
Anhang B: Beispiel eines Gefahrstoffverzeichnisses (Auszug)
Nachfolgend ein tabellarischer Auszug, der die grundsätzliche Struktur eines Gefahrstoffkatasters darstellt. Enthalten sind Muster-Einträge für zwei typische Gefahrstoffe in einem Betrieb:
Example of a hazardous substances list
Gefahrstoff (CAS-Nr.) | Einstufung (CLP) | Mengenbereich | Arbeitsbereich | SDS Ref. |
---|---|---|---|---|
Aceton (CAS 67-64-1) | Flam. Fl. Kat. 2 (H225); Eye Irrit. Kat. 2 (H319); STOT SE Kat. 3 (H336) – hochentzündlich, reizend | ca. 100–500 Liter | Lackiererei (Werkhalle 1) | SDS_ACETON_v2023.pdf |
Salzsäure 30% (CAS 7647-01-0) | Met. Corr. Kat. 1 (H290); Skin Corr. Kat. 1A (H314); STOT SE Kat. 3 (H335) – ätzend, reizend | ca. 50 Liter | Labor (Analytik, Gebäude 3) | SDS_HCL30_v2022.pdf |
Erläuterungen:
Jede Zeile listet einen Stoff mit seiner Gefahrenklassifizierung nach CLP (mit Hazard Statements) sowie optional einer verbalen Kurzcharakterisierung. Der Mengenbereich gibt an, in welcher Größenordnung der Stoff im Betrieb vorhanden ist (hier als Jahresverbrauch oder Lagermenge). Der Arbeitsbereich zeigt, wo der Stoff eingesetzt oder gelagert wird. Die letzte Spalte verweist auf das hinterlegte Sicherheitsdatenblatt (Dateiname oder Ablagereferenz).
In einem vollständigen Verzeichnis wären zusätzlich Angaben zur WGK (Wassergefährdungsklasse) sinnvoll, sowie Hinweise, ob der Stoff unter besondere Regelungen fällt (z. B. „KMR-Stoff Kat.1B, Expositionsverzeichnis vorhanden“). Die Beschäftigten in den genannten Arbeitsbereichen müssen Zugang zu diesen Informationen haben, und es sollte erkennbar sein, wer die Verantwortung für die Aktualität der Einträge trägt (z. B. durch Versions-/Änderungsspalten oder einem Verantwortlichen je Bereich).